Aus DER RABE RALF Dezember 2018/Januar 2019, Seite 6
Entscheidende Protesttage im Hambacher Forst
Es ist ungewöhnlich warm für Oktober. Tausende Menschen wirbeln den Sand von den trockenen Feldwegen auf. Etwa 50.000 Demonstranten sind auf einen Acker zwischen Köln und Aachen gekommen, um ein Zeichen gegen die Verbrennung der klimaschädlichen Braunkohle und für die Rettung des Hambacher Forstes zu setzen. Mitten auf freiem Feld in der Nähe des Waldes sammelten sie sich, auf einer Bühne werden Reden gehalten und Bands treten auf. An diesem 6. Oktober 2018 ist es nun schon fast einen Monat her, dass der Konflikt um den Hambacher Forst einen Höhepunkt erreichte.
Den letzten Rest des alten Waldes retten
Jahrhundertelang war der Bürgewald ein durch die umliegenden Gemeinden gemeinsam genutzter, etwa 4.000 Hektar großer Wald. Vor rund 50 Jahren kaufte die heute mit RWE fusionierte Rheinbraun AG den Wald scheibchenweise den Gemeinden ab. Ab 1978 wurde dann im Tagebau Hambach Braunkohle gefördert. In dem nun Hambacher Forst genannten Wald wurden dazu jedes Jahr mit dem Voranschreiten des Tagebaus einige Hektar gerodet.
Ab 2012 hielten Umweltaktivisten den verbliebenen Wald am Südende des Tagebaus mehrfach besetzt, seit 2014 sogar durchgehend auf bis zu 60 Baumhäusern.
Nachdem der Umweltverband BUND vor einem Jahr vor Gericht einen vorläufigen Rodungsstopp für die Rodungssaison 2017/2018 erreichen konnte, wollte RWE im Jahr 2018 den größten Teil der verbliebenen 200 Hektar Wald roden. Dort befanden sich jedoch die Baumhäuser der Waldbesetzer. Im September erklärten die Behörden die Baumhäuser zu „baulichen Anlagen“ und stellten Mängel beim Brandschutz fest – höchstwahrscheinlich, um eine klare rechtliche Grundlage zu ihrer Beseitigung zu haben.
In der gleichen Woche begann RWE unter Polizeischutz alle auf dem Waldboden zum Wohnen und Kochen errichteten Hütten zu entfernen. Der Wald und die umliegenden Dörfer und Felder wurden zu einem Gefahrengebiet erklärt, in dem die Polizei besondere Befugnisse für Kontrollen und Platzverweise hat. Schon jetzt war vom größten Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens die Rede.
Am Abend des 12. September wurde bekannt, dass die zu Gebäuden erklärten Baumhäuser sofort polizeilich geräumt werden sollen – aus Brandschutzgründen. Einen Tag später wurden die ersten Räumungsbescheide verlesen. Sitzblockaden der Waldbesetzer auf den Zufahrtswegen wurden geräumt. Noch am gleichen Abend zeigten in Berlin mehrere hundert Menschen bei einer Fahrraddemonstration ihre Solidarität. Mit lauten „Hambi bleibt“-Rufen fuhren sie durch die Nacht. Am nächsten Morgen blockierten etwa 20 Umweltschützer die nordrhein-westfälische Landesvertretung in Berlin.
Der Protest wird heiß
In den folgenden Tagen werden nach und nach die Baumhäuser abgerissen. Dafür werden viele Bäume gefällt und breite, befestigte Straßen durch den Wald gebaut. Tausende Demonstranten kommen jetzt zum sonntäglichen Waldspaziergang.
Am 19. September stürzt ein Journalist aus über 15 Metern von einem Baumhaus ab und stirbt. Nach dem Unfall wird die Räumung ausgesetzt. Am darauffolgenden Sonntag kommen wieder 7.000 in den Wald und gedenken des toten Journalisten. Am Montag wird die Räumung fortgesetzt. Während es deutschlandweit täglich Kundgebungen und Baumbesetzungen gibt, wird im Hambacher Forst ein Baumhaus nach dem anderen zerstört. Am 2. Oktober verkündet die Polizei, dass das letzte Baumhaus geräumt worden sei.
Nach einer Vereinbarung darf RWE jedoch erst am 15. Oktober mit dem Roden beginnen. Der Wald ist jetzt wieder zum Betreten freigegeben, an jeder Kreuzung im Wald steht jedoch Polizei. Die ehemaligen Baumhausdörfer sind große, kahle Lichtungen, an einigen Bäumen hängen noch Seile und Banner. Nur vereinzelt kommen Menschen aus der Umgebung in den Wald.
Auch auf der besetzten Wiese am Waldrand ist es eher ruhig. Für Aufsehen sorgt die Anlieferung eines großen Müllcontainers, von dem niemand genau weiß, was es damit auf sich hat. Müll gibt es allerdings genug, auch aus dem Wald – von RWE nach dem Abriss der Baumhäuser einfach liegen gelassen.
Ein Fernsehteam kommt zu einem Interview und alle paar Minuten bringen Unterstützer Verpflegung vorbei. Meist sind es ältere, mütterlich wirkende Frauen aus der Umgebung, die sich für den Einsatz und das Durchhaltevermögen der Besetzer auf diese Art bedanken möchten. Als jedoch sechs Jugendliche über das Feld auf das Wiesencamp zurennen, werden sie von der Polizei gestoppt, die offenbar Kletterausrüstung bei ihnen beschlagnahmt.
Im „Hambicamp“ in Manheim, einem Dorf, das ebenfalls dem Tagebau weichen soll und bereits zu großen Teilen leer steht, sind ehemalige Waldbesetzer und Unterstützer untergekommen. Auf der Streuobstwiese gibt es neben einem kleinen Workshop-Programm und regelmäßigen Versammlungen eine große Küche. Am Abend wird hier bekannt, dass die Polizei die für den 6. Oktober geplante Großkundgebung verboten hat. Niemand glaubt jedoch, dass die Demonstration deswegen nicht stattfinden wird – nun werden wohl erst recht viele Menschen kommen.
Wechselbad der Gefühle
Am Tag vor der Demonstration hallt plötzlich der Ruf über das Camp: „Rodungsstopp!“. Das Oberverwaltungsgericht Münster ist dem Eilantrag des BUND gefolgt: Die Rodung würde nicht rückgängig zu machende Fakten schaffen und lässt sich nicht mit öffentlichem Interesse begründen. Erst wenn das Hauptverfahren um die Schutzwürdigkeit des Waldes abgeschlossen ist, könnte – je nach Gerichtsentscheidung – wieder gerodet werden. RWE selbst geht davon aus, dass das nicht vor 2020 der Fall sein wird, woraufhin die Aktie des Konzerns an der Börse innerhalb eines Tages acht Prozent an Wert verliert. Im Camp finden sich spontan Gruppen zusammen, die das Urteil hochleben lassen. Ringsumher Freudenrufe. Als ob das noch nicht genug wäre, kippt das Verwaltungsgericht Aachen am Nachmittag dann auch das Verbot der Demonstration am Samstag.
Und so kommen über 50.000 zur Demo – mit Fahrrädern aus der Umgebung, mit der S-Bahn aus dem nahen Köln, mit Bussen aus ganz Deutschland. Auch vom Camp in Manheim machen sich Hunderte auf den Weg. Ein Baumhaus aus Pödelwitz, einem ebenfalls von Abbaggerung bedrohten Dorf bei Leipzig, ragt hoch aus der Menge empor.
Schließlich setzt sich der Menschenzug in Bewegung, zunächst über Straßen, dann feldeinwärts in Richtung Wald. Vor der Einfahrt zum „Werksgelände“ verlangt die Polizei zwar das Anmeldepapier zur Demonstration, beschränkt sich dann jedoch darauf, die Straße in Richtung Tagebau zu blockieren. Das Ziel ist heute jedoch der Wald und nicht der Tagebau. An der alten Autobahn wird Rast gemacht. Am Waldrand picknicken Familien, einige aus der Demo machen es sich in Hängematten bequem. Schon entstehen wieder Baumhäuser.
Zur gleichen Zeit gehen am anderen Ende des Tagebaus Hunderte Aktive am Tagebau spazieren, wodurch drei Bagger aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden müssen. Einige bleiben dort über Nacht, so wird einer der Bagger über 24 Stunden stillstehen.
Ausgelassen und mit Musik-Unterstützung auf der alten A4 findet der erfolgreiche Tag seinen Ausklang.
Leonhard Lenz
Weitere Informationen: www.hambacherforst.org