Aktuelle Studie zum Naturbewusstsein

Aus DER RABE RALF August/September 2014, Seiten 16/17

Umweltverträgliches Handeln fängt beim Einkauf an

Dass man die Zukunft nur bewusst gestalten kann, wenn man die Gegenwart kennt, ist eine der Kernaussagen der aktuellen Studie Naturbewusstsein 2013 – Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Durchgeführt wurde sie vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sowie dem Bundesamt für Naturschutz. Denn bevor überhaupt Maßnahmen zum Schutz der Natur und der biologischen Vielfalt unternommen werden können, bedarf es einer Analyse dazu, „was die Menschen über den momentanen Zustand der Natur wissen und welche Einstellung sie zu bestimmten Naturschutzthemen haben“, heißt es darin. Damit liegt den Umweltverbänden, der Wissenschaft, den Produzenten von Konsumgütern, dem Handel, den Umweltbehörden und der interessierten Öffentlichkeit ein wichtiger Informationskatalog vor, der als Handlungsgrundlage für die künftige Arbeit zum Schutz und der Verbesserung der biologischen Vielfalt dient und der Zerstörung unseres Naturerbes entgegenwirken kann.

Viele Wissensdefizite

Frei nach dem bekannten Spruch: „Für Geld tun die Menschen alles“, merkte Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks bei der Vorstellung der Studie ergänzend und voller Zuversicht an, „für Geld tun Menschen alles, auch das Gute“. Aus den Ergebnissen der Studie ergibt sich, dass ein größerer Bevölkerungsanteil in Sachen Umweltschutz gut informiert und auch bereit ist, sein gewonnenes Wissen – zumindest teilweise – in die Praxis umzusetzen. Die Studie zeigt auch auf, welche Wissensdefizite bestehen, welche Kluft zwischen Theorie und Praxis sowie Anspruch und Umsetzung liegen. Insgesamt 82 Prozent ärgern sich laut der Studie, dass viele Menschen so sorglos mit der Natur umgehen, 44 Prozent fühlen sich durch die Zerstörung der Natur sogar bedroht. Hier kommen nicht nur auf die Politik, sondern auch auf die Umweltverbände und jeden einzelnen noch viel Arbeit zu, um Änderungen zu erwirken. Schließlich sind nur 40 Prozent der Meinung, „in Deutschland wird genug getan, um die Natur zu schützen“.

Die Zustimmung zur Energiewende ist mit 56 Prozent zwar relativ groß. Angemerkt sei jedoch, dass diese im Vergleich zur vorigen Studie 2011 mit seinerzeit 63 Prozent um sieben Prozent gesunken ist. Allerdings ist diese Veränderung eher auf die Sorge um steigende Energiekosten zurückzuführen. Widersprüchliche, teilweise sogar falsche Aussagen, gerade seitens der Lobbyverbände, haben wohl zur Verunsicherung beigetragen.

Bewusst handeln

Zur Wechselwirkung zwischen Konsum und Naturverträglichkeit heißt es in der Studie: „Die meisten Konsumgüter haben einen direkten oder indirekten Bezug zu den natürlichen Ressourcen und zur biologischen Vielfalt. Wir sind auf die Produkte aus der Natur angewiesen. Dazu gehören Lebensmittel, Heilkräuter und Textilien aus natürlichen Fasern. Unser Konsum beeinflusst aber auch den Zustand der biologischen Vielfalt: Papier wird aus Holz hergestellt, Gartenerde oft mit Hochmoortorf und die Produktion des Smartphones kann den Lebensraum der Gorillas dieser Welt beeinflussen. Wir wollen daher nach Wegen suchen, wie man naturverträgliche Produkte am Markt verstärken kann“, so die Bundesumweltministerin. Sie bemängelt, dass biologische Vielfalt beim Konsum bislang noch zu wenig Berücksichtigung findet. Denn nur die Hälfte der Befragten weiß, inwiefern sie durch bewusstes Konsumieren zur Gestaltung der Umwelt beitragen kann. Langfristig soll dieser Punkt aber nicht nur durch staatliches Handeln bestimmt werden. Hier sollen der Agrarbereich und die Produktion miteinbezogen werden.

Das Thema „Biologische Vielfalt“ hat in den letzten Jahren allgemein an Bedeutung gewonnen. Sterben doch aufgrund menschlicher Einflüsse zurzeit 1000-mal mehr Arten aus, als dies auf natürliche Weise der Fall wäre, viele Ökosysteme mit lebenswichtigen Ressourcen sind gefährdet, besagt die Studie. Das Wissen der Befragten um biologische Vielfalt als Vielfalt von Lebensräumen und Ökosystemen hat sich erfreulicher Weise seit der ersten repräsentativen Studie 2009 zwar verdoppelt. Doch können auch nach neustem Stand lediglich 40 Prozent den Begriff überhaupt erklären. „Die biologische Vielfalt ist das vielleicht wichtigste Gut unseres Planeten. Sie umfasst die Bandbreite an Ökosystemen und Lebensräumen, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten“, so die Definition des WWF.

Wie stark der Kontrast zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit ist, zeigen folgende Tatsachen. Über 90 Prozent der Befragten schätzen an der Natur die Vielfalt. Ebenso viele verbinden mit der Natur „Gesundheit und Erholung“ und sind ebenfalls der Meinung: „Zu einem guten Leben gehört die Natur dazu.“ Andererseits gehen aber die von Menschen verursachten und fortschreitenden Umweltschäden wie auch der Klimawandel unvermindert weiter.

Die Vorstellung der Ergebnisse der Studie löste zugleich eine heftige Diskussion unter Akteuren aus dem Bereich Umwelt- und Naturschutz aus. Insbesondere geht es um die Bedeutung der gewonnenen Erkenntnisse zum Thema Umweltschutz und um die weitere Vorgehensweise in Sachen Bewusstseinsbildung. „Um Natur- und Umweltbelastung zu reduzieren, bedarf es eines Dialogs zwischen Naturschutz, Handel und Produktion“, sagt Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz. Doch das Verhalten ändere sich nicht so schnell. Viele wissen gar nichts über die Naturverträglichkeit von Produkten. Nur knapp die Hälfte der Befragten gibt an, überhaupt über die Auswirkungen der gekauften Produkte auf Natur und Umwelt Bescheid zu wissen.

Als Beispiel nennt sie unseren Fleischkonsum. Um diesen zu decken, werden sogar außerhalb der Europäischen Union zweieinhalb Millionen Hektar Land für den Anbau von Tierfutter benötigt. „Unsere Lebensweise und deren Auswirkungen beeinflussen stark das Leben und den Naturschutz in den Herstellerländern. In der Bevölkerung bestehen offensichtlich noch große Wissensdefizite zur Nachhaltigkeit von Produkten, die dringend behoben werden müssen: Das macht unsere Studie zum Naturbewusstsein der Deutschen deutlich“, ergänzt Prof. Jessel. Es gebe so viele Möglichkeiten seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher, über das Kauf- und Konsumverhalten einen Beitrag zur Sicherung der biologischen Vielfalt zu leisten. Sich bewusst für nachträgliche Produkte zu entscheiden, sei zugleich ein Statement gegen eintönige Monokulturen und Ressourcenausbeutung und für gute Lebensqualität.

Aufklären statt bevormunden

Doch solle auf jeden Fall der erhobene Zeigefinger vermieden werden. Bevormundung könne eher negative Reaktionen hervorrufen: „Gerade der Staat ist am wenigsten glaubwürdig“, ergänzt Gerd Billen, Staatssekretär im Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Verbraucherbildung sollte schon in der Schule beginnen. So besteht allgemein Einvernehmen darüber, dass es wenig sinnvoll ist, gleich nach dem Staat zu rufen. „Menschen handeln danach, was ihnen einsichtig geworden ist und nicht nur nach dem Motto: Geiz ist geil“, so Prof. Jessel. Doch gerade diese Einsicht hat sich mehrheitlich längst nicht durchgesetzt. Es wurde festgestellt, dass nach wie vor „billig“ gegenüber Naturverträglichkeit  dominiert.

In dem Zusammenhang sei es sinnvoll, dass Preise die „Wahrheit“ ausdrücken. Diese sollten transparent sein und auch die tatsächlichen Kosten beinhalten. Im Klartext heißt das, die „externalisierten Kosten“, also die durch die Produktion entstandenen Schadstoffe, mit einzupreisen. Zudem kam der Vorschlag, die externen Kosten auch in den betrieblichen Bilanzen aufzuführen. Allein in der Textilbranche entstünden pro Jahr 21 Milliarden Euro an Kosten durch Schadstoffe, die nicht im Preis inbegriffen sind. „Diese Kosten werden einfach nicht weitergegeben“, bemängelt Dr. Johannes Merck von der Otto Group.

„So soll darauf verwiesen werden, wie viel Pestizide verwendet, welche Ausbeuterlöhne gezahlt werden und ob die betreffenden Modeklamotten giftige Farbstoffe enthalten“, fordert Dr. Eick von Ruschkowski, Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik beim NABU unmissverständlich. Auch sollte nicht verschwiegen werden, wie viele Baumwollfarmer in der Dritten Welt ihre Kredite nicht zurückzahlen können und deshalb Pleite gehen. Zudem seien kleidungsbedingte Hautallergien um 140 Prozent gestiegen, warnt Matthias Hebeler, Geschäftsführer der Bekleidungsfirma Brainshirt aus Fulda. Deshalb bietet sein Unternehmen nur Hemden und andere Kleidungsstücke an, die aus ökologisch angebauter Baumwolle gefertigt sind, die nicht aus tierischen Produkten stammen und für deren Produktion faire Löhne gezahlt werden. Nach seiner Aussage würden in Deutschland überhaupt keine Hemden mehr produziert, diese kämen hauptsächlich aus Billiglohnländern. So will er mit gutem Beispiel vorangehen und nur noch in Deutschland und in anderen EU-Ländern produzieren lassen. Derartige Geschäftsmodelle könnten durchaus im größeren Stil Anklang finden: Immerhin gaben 42 Prozent der Befragten an, dass ihnen Gebrauchsgüter wie Möbel und Kleidung, die als naturschonend zertifiziert sind, beim Einkauf wichtig sind.

Doch welche Wareninformationen darüber finden überhaupt Anklang? „Die Konsumenten durch Labels und entsprechende Hinweise über die Beschaffenheit der angebotenen Waren aufzuklären, hat sich als wenig wirksam erwiesen. Es ist einfach schwierig, geeignete Labels mit entsprechender Aussagekraft zu finden“, berichtet Johannes Merck, Direktor Corporate Responsibility bei der Otto Group. Siegel und Labels versprächen zu viel und sind oft widersprüchlich. Hinzu komme, dass es zu viele davon gibt und dem Konsumenten mittlerweile der Überblick fehlt.

Konsumreduzierung

Um die anstehenden Probleme zu lösen, sei Konsumreduzierung unausweichlich, plädiert Dr. von Ruschkowski, merkt jedoch an, dass dies ein schwieriges Thema, aber eine Herausforderung sei. Seine Vorschläge: Beispielsweise könnte die Modebranche die Idee der „Slow Fashion Bewegung“ aufgreifen, die Modezyklen verlängern und ebenso für eine längere Haltbarkeit der Produkte sorgen. Bei der Anschaffung von Elektrogeräten stellt sich die Frage: Muss es immer das neueste Gerät sein? Auch müsse die Haltbarkeit und Lebensdauer erhöht werden. Jedes Jahr werde viel Elektromüll illegal nach Afrika geliefert, empört sich Dr. von Ruschkowski.

Auch sollte der Kauf regionaler Produkte aufgrund der kürzeren Transportwege Vorrang haben. Der industriell erzeugte Überfluss und die kurze Haltbarkeit der Produkte, aber auch Unachtsamkeit führten dazu, dass jedes Jahr etwa zehn Millionen Tonnen Müll in die Meere gespült würden, davon 75 Prozent Plastik und Kunststoff, rechnete Dr. von Ruschkowski vor. Sein Vorschlag zum künftigen Konsumverhalten: Teilen statt kaufen, nutzen statt besitzen, mehr recyceln, wiederverwenden, reparieren und grundsätzlich überdenken, ob wirklich jede Neuanschaffung notwendig ist.

Zum Thema nachhaltiger Konsum ergab sich, dass die meisten Menschen ihre Einkäufe ohnehin im Supermarkt und nicht im Bioladen tätigen. Wobei der bekannte Werbespruch „Geiz ist Geil“ sicher nicht Ursache für den Vorbehalt gegenüber Bioläden ist. 42 Prozent gaben nämlich an, dass sie sich „naturverträgliche Produkte nicht leisten können“ und 77 Prozent der Konsumenten sind „naturverträgliche Produkte zu teuer“. Etwa 50 Prozent, glauben ohnehin nicht daran, durch den Kauf naturverträglicher Produkte der Natur wirklich helfen zu können. Trotzdem kaufen viele Verbraucher durchaus bewusst ein. Denn 82 Prozent sind regionale und saisonale Lebensmittel wichtiger als Lebensmittel aus ökologischer Landwirtschaft.

Ermutigende Beispiele

Bei der Vorstellung der Studie Naturbewusstsein 2013 wurden zugleich einige gute Beispiele zum praktischen Naturschutz präsentiert: Um der überhand nehmenden Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken, empfahl Konstantin Schroth von mundraub.org einen Blick auf die gleichnamige Internetseite. Hier wird dem gesundheitsbewussten Obstkonsumenten ein Verzeichnis frei zugänglicher Fundstellen für Obst, Beeren und Nüsse geboten. Eigene, weitere Entdeckungen werden gern entgegengenommen. Patrick Trötschler von der Bodensee-Stiftung berichtete über die Erstellung von Biodiversitätskriterien für die Lebensmittelstandards einer bekannten Handelskette. Das Projekt „Werkstatt Ressourcenschutz“ der Verbraucherzentrale NRW vermittelt Schülern von Berufskollegs und Berufsschulen Informationen über Ressourcenschutz.

Langfristig wird aber mehr Umweltschutz, nachhaltiger Konsum und Energiereduzierung nur gelingen, wenn wir uns vom umweltschädlichen Wachstumsgedanken verabschieden. Gerade die westlichen Überflussgesellschaften könnten mit gutem Beispiel vorangehen. Erste positive Ansätze dazu gibt es bereits. Das würde allerdings eine Umstellung von Arbeitsprozessen und Wirtschaftsformen nach sich ziehen.

Volker Voss


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