Aus DER RABE RALF Ausg. April/Mai 2014, Seite 7
Kuhhandel um den stillgelegten Rangier- und Güterbahnhof Pankow
Fast ein Jahr lang war Ruhe eingekehrt um das Gelände des ehemaligen Rangier- und Güterbahnhofs Pankow und die Pläne des Investors Kurt Krieger – bis sich die Medien im Januar erneut auf das Thema stürzten. Ein Deal sei zustande gekommen, hieß es.
Unstrittig sei indes, dass Krieger auf dem Areal sein Möbelhaus errichten darf. Es wird westlich der Prenzlauer Promenade entstehen. In diesem Bereich soll auch das streitbare Shoppingcenter gebaut werden, welches mit einer angedachten Verkaufsfläche von 30.000 Quadratmetern dem Alexa gleich käme. Östlich der Berliner Straße sollen zudem ein Stadtplatz mit Geschäften, Gastronomie und Arztpraxen unmittelbar am S-Bahnhof entstehen. Krieger denke auch über die Errichtung eines Hotels nach.
Auf dem Grundstück ist zudem Wohnbebauung vorgesehen. Der derzeitige Planungsstand sieht vor, 750 Wohnungen entlang der S-Bahntrasse zu bauen, welche zugleich eine Lärmschutzwand bilden sollen (Treppenhäuser zur Trasse hin). Über 20 Jahre will Kurt Krieger ein Drittel der Wohnungen zu einem Quadratmeterpreis von
5,50 Euro kalt vermieten, ein weiteres Drittel ist mit 8 bis 10 Euro kalkuliert. Die übrigen 250 Wohneinheiten werden zum Marktpreis angeboten. Nach eigenen Aussagen ist der Neubau von Wohnungen zu sozialen Preisen für Krieger ein Verlustgeschäft in Millionenhöhe. Aber er wollte sich ja schon immer ein Denkmal setzen. So begründet er sein wohltätiges Angebot.
Darüber hinaus will Krieger dem Senat zwei Grundstücke für den Bau von zwei Schulen, davon eine Grund- und eine Gemeinschaftsschule, zur Verfügung stellen. Diese befinden sich jeweils am östlichen und westlichen Ende der Gesamtfläche.
Rückblick
Bereits im Jahr 2009 erwarb Kurt Krieger, der bundesweit mehr als 50 Möbelmärkte besitzt, das 40 Hektar große Gelände. Unermüdlich änderte er kontinuierlich seine Pläne. Aufgeben – dafür ist er nicht bekannt.
Ein Werkstattverfahren, welches den Interessenkonflikt zwischen den Akteuren auf Bezirks- und Landesebene sowie dem Investor beseitigen sollte, wurde im Januar nach gut einem Jahr beendet. Die Ergebnisse werden dabei unterschiedlich bewertet. Vieles wurde nicht abschließend diskutiert.
Kontroverses
Als keine Einigung unter den Akteuren in Sicht war, wandte sich Krieger an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) persönlich. Nach einer nichtöffentlichen Inaugenscheinnahme des Geländes zur Adventszeit, einigte man sich darauf, soziale Mieten und zwei Grundstücke für den Bau von Schulen gegen die Baugenehmigung des umstrittenen Einkaufzentrums zu tauschen. Eigentlich sollte niemand von diesem Hinterzimmer-Deal erfahren.
Auch bezüglich der beiden Schulgrundstücke gibt es noch Klärungsbedarf. Das erste Grundstück liegt genau an der S-Bahntrasse. Es müsse erst geprüft werden, ob die Lärmbelastung für eine Schule zu groß sei. Auch das andere Grundstück scheint mehr Fluch als Segen zu sein. Der Boden dort gilt als belastet und der denkmalsgeschützte Rundlokschuppen, der sich ebenfalls auf diesem Gelände befindet, müsse dementsprechend durch den Bezirk saniert werden. Die Kosten dafür wären enorm. Das meint auch Bezirksbaustadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis90/Die Grünen), der das ganze Verfahren äußerst kritisch betrachtet.
Rechtlich ist der Deal in seiner jetzigen Form alles andere als sicher. Der Stadtentwicklungsplan (SteP) Zentren sieht in Pankow kein weiteres Einkaufszentrum dieser Größenordnung vor; da brachte auch das im November 2013 erschienene branchen-spezifische Fachmarktkonzept keine neuen Erkenntnisse. Vielmehr soll der bestehende Einzelhandel in Pankow gestärkt und ausgebaut werden. Bei Nichteinhaltung des SteP Zentren können die bisherigen Einkaufszentren in Pankow – die Schönhauser Allee Arcaden und das Rathaus-Center Pankow – wegen fehlender Gleichbehandlung gegen das neu zu errichtende Shoppingcenter klagen.
Ebenso muss man sich die Frage stellen, inwiefern nachhaltige Stadtentwicklung und grenzenlose Wachstumsillusionen hier kollidieren. Die Zunahme an Gewerbeflächen und damit der zunehmende Flächenverbrauch tragen in keiner Weise zur Steigerung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger bei. Zu einem guten Wohnumfeld gehört auch ein ausreichendes Angebot an wohnungsnahen Grünflächen, egal ob als wertvolle Biotope oder einfache Orte der Erholung. In Berlin sind die Grenzen sinnvollen Wachstums bald erreicht. Am Beispiel der aktuell brach liegenden Fläche von 40 Hektar Größe zeigt sich das Abdriften von einer sinnvollen Politik – denn von dem Gelände soll lediglich ein kleiner Stadtpark von fünf Hektar Größe als Grünfläche zur Verfügung stehen. Wieder einmal mangelt es an vorausschauendem Denken.
Zudem sollen das geplante Einkaufszentrum und das Möbelhaus ein „Einzugsgebiet“ bis in den Norden Brandenburgs haben – bislang liegt allerdings kein belastbares Verkehrs(entlastungs)konzept vor, die vorhandenen Straßen können den Verkehr möglicherweise nicht fassen. Auch ob der Bezirk eine zusätzliche Straßenbahnlinie bis nach Heinersdorf bekommt, ist weiterhin ungeklärt.
Bilanz
Im Großen und Ganzen ist insbesondere der Entscheidungsprozess an sich als äußerst intransparent und fragwürdig zu bewerten. Er spiegelt aber eindrucksvoll die gängige Praxis des Berliner Senates wieder. Entscheidungen werden außerhalt der Öffentlichkeit gefällt, auch über die Köpfe der Betroffenen und Akteure hinweg, wie es zum Beispiel auch beim Abzug der Hausglastonnen von den Müllstandsflächen der Fall war.
Wie auch immer sich der Deal konkretisiert, erst einmal muss der Flächennutzungsplan durch das Abgeordnetenhaus von Berlin geändert werden. Es schließen sich die Bebauungspläne, die von der Bezirksverordnetenversammlung in Pankow beschlossen werden müssen, an. Vor dem Jahr 2016 ist daher definitiv nicht mit einem Baubeginn zu rechnen.
Auch wenn sich viele Pankowerinnen und Pankower eine zeitnahe Entwicklung auf dem Gelände des ehemaligen Rangier- und Güterbahnhofs wünschen, so hat der Deal einen faden Beigeschmack: Kommst Du mir entgegen, komme ich Dir entgegen – Rechtssicherheit hin oder her. Ein Kuhhandel eben. Firma dankt!
Janine Behrens