Kein Wachstum mehr – gut so!

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2014, Seite 7

Die vierte internationale Degrowth-Konferenz in Leipzig

Degrowth-Demo stößt bei Kaufsüchtigen auf freundliches Desinteresse. (Foto: Danyonited/​Klimagerechtigkeit Leipzig/​Wikimedia Commons)

Vom 2. bis 6. September fand auf dem Campus der Uni Leipzig die „4. Internationale Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit“ statt.
Degrowth bedeutet Wachstumsrücknahme, Wachstumskritik, Schrumpfung, Postwachstum.

Eine schrumpfende Wirtschaft als Thema einer Konferenz und Ziel einer sozialen Bewegung? Wie kann das sinnvoll oder fortschrittlich sein? Dass Wirtschaftswachstum die Voraussetzung für Wohlstand, Demokratie und Freiheit sei, ist in unseren Köpfen so fest verankert, dass man sich eine schrumpfende Wirtschaft nur als Verelendung vorstellen kann. Ohne Wachstum kein Wohlstand und keine Freiheit.

Aber ist das so? Kann es nicht auch anders sein? Um welchen Wohlstand und welche Freiheit geht es überhaupt? Die Leute besitzen jetzt zwar Autos und Kühlschränke, aber sind deswegen die Einkommensunterschiede geringer oder die politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten besser und der Zugang zu Bildung und Gesundheit demokratischer?

Selbst den Bossen großer Industrie- und Handelsunternehmen dürfte klar sein, dass die derzeitige Wirtschaftsweise nicht aufrechtzuerhalten ist. Denn sie zerstört buchstäblich die Erde, also zumindest das, was die Erde für den Menschen lebenswert macht. Aber sie machen weiter und hoffen auf technische Lösungen.

Die Anhänger des Degrowth-Gedankens setzen stattdessen auf Schrumpfung des materiellen Verbrauchs bei gleichzeitigem Wachstum der materiellen Gleichheit. Mehr Gemeinwohlökonomie, weniger Profitmaximierung. Weniger produzieren, weniger konsumieren, weniger arbeiten, dafür qualitativ bessere Produkte, lokale Wirtschaftskreisläufe, gerechte Beteiligung. Statt vor dem möglichen Zusammenbruch die Augen zu verschließen oder auf ihn zu warten, in der Annahme, es werde schon nicht so schlimm kommen, zumindest nicht für einen persönlich, werden Wege beschrieben, wie umweltverträglich und sozial gerecht produziert, anders gelebt und anders konsumiert werden kann.

Raum für Ineffizienz und Langsamkeit

An fünf Tagen wurde in Leipzig geredet, zugehört und debattiert, und es gab praktische Beispiele dazu, wie eine Wirtschaft aussehen kann, deren oberstes Ziel nicht Wachstum ist und wie eine Gesellschaft, in der dies funktioniert.

Die lebendige und angeregte Stimmung auf der Konferenz lag sicher nicht nur am zauberhaften Wetter und der perfekten Organisation oder daran, dass vor allem Studierende gekommen waren. Es war vielmehr die Erfahrung, Teil eines gesellschaftlichen Prozesses zu sein, welcher der Absurdität, sich eher das Ende der Welt vorstellen zu können als das Ende eines zerstörerischen Wirtschaftssystems, etwas entgegensetzen kann.

Die Veranstaltung hatte mehr als 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, was den Mitorganisator der ersten Degrowth-Konferenz 2010 in Barcelona – mit damals 150 Menschen – zu dem Witz veranlasste, das sei eine Steigerung um das Zwanzigfache und die Organisatoren des nächsten Kongresses sollten deshalb der Langsamkeit und Ineffizienz wieder mehr Raum lassen.

Inhaltlich waren auf dem Kongress so ziemlich alle Themen und Positionen vertreten.

Zur Sprache kamen:

  • die Funktion des Geldes und der Banken
  • die Rolle der Arbeit, der Technik und der Forschung
  • der Stellenwert von Postkolonialismus, Extraktivismus und Konsum
  • die Bedeutung von Widerstand, Bildung, Selbsthilfe und Kapitalismuskritik
  • die Bedeutung von Genderfragen, Ernährung, Klimagerechtigkeit
  • die Möglichkeiten von Gemeinwohlökonomie und Grundeinkommen

Eine Art roter Faden der Konferenz war die Auseinandersetzung über die Art der Wachstumskritik. Wie viel revolutionäre Gewalt, wie viele Machtkämpfe braucht es? Braucht es die überhaupt? Was lässt sich erreichen allein durch Andersmachen?

Um diese Frage ging es auch auf einem der letzten Podien mit dem Titel „Suffizienz versus Gegenkultur“. Die zunächst inszenierte Konfrontation zwischen Uwe Schneidewind1 als Lobsänger einer gemäßigten Umkehr zu einem guten Leben und Harald Welzer2 als Bürgerschreck geriet dank Welzers forschem Auftritt schnell zu einer echten Auseinandersetzung. Welzer betonte, die Profiteure des Systems würden nicht einfach aufhören, das zu tun, was sie tun. Und Kämpfe um Macht gebe es nun einmal nicht ohne Kämpfe.

Es gibt durchaus auch eine konservative Wachstumskritik. Einer der prominenteren Vertreter, Meinhard Miegel3, war zwar eingeladen, hatte aber abgesagt. Auch bei Miegel gibt es keine Machtkämpfe. Gemeinwohlökonomie wird zum Beispiel eher verstanden als Selbsthilfe und nicht als profitfreies Wirtschaften. Die konservative Sicht prägt zum Teil auch die öffentliche Wahrnehmung von Wachstumskritik: Weniger arbeiten, besser leben, das sei eine akademische Debatte von Leuten, die auch mit einem Halbtagsjob genug Geld verdienen, um komfortabel zu wohnen und Bioessen und ökologisch korrekte Produkte einkaufen zu können. Das aber ist nur eine Facette.

Naivität statt Zynismus

Wenig Radikalität und theoretische Fundierung der Kritik sowie das Thema Ökologie sind es, die den Unterschied zu den kapitalismuskritischen Debatten der 1970er Jahre ausmachen. Die heutigen Debatten sind sehr viel mehr lebenspraktisch und kulturell motiviert. Und zuweilen naiv in der Vorstellung, gesellschaftlicher Wandel lasse sich durch gute Vorbilder und neue Narrative voranbringen. Diese Naivität mag das Ergebnis des heutigen Bildungssystems sein, in dem die Vermittlung der Fähigkeit, individuelle Entscheidungen in Hinsicht auf einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu hinterfragen, bestimmt kein Schwerpunkt ist. Die Analyse von Schichten- beziehungsweise Klasseninteressen auch nicht. Andererseits mag diese Naivität vielleicht auch klug sein. Sie schützt vor Zynismus und ermöglicht die Auseinandersetzung mit einem Gegner, dessen Übermacht in direkter Konfrontation einfach erdrückend wäre.

Eine Revolution beginnt mit einem guten Gespräch und gutem Essen, und eine Revolution, bei der man nicht tanzen kann, lohnt sich nicht – nach diesen beiden Mottos gab es auf dem Hof zwischen den Veranstaltungsgebäuden Mittagessen für alle und abends Musik. Für das Catering sorgte eine Volksküche mit vielen helfenden Händen zum Gemüseschnippeln und Abwaschen. Das frische Gemüse wurde schon ein halbes Jahr vorher in Auftrag gegeben und von einer Landwirtschaftskooperative in der Nähe angebaut und geliefert.

Die Konferenz endete mit einer Demo durch die Stadt, von den Veranstaltern „Auszug“ genannt. Dieser erfolgte dann auch stilgerecht mit Begleitung einer Band.

Die Leipziger Uni ist mitten in der Stadt, die Einkaufspassagen gleich um die Ecke. Beim Aufeinandertreffen der Konferenzteilnehmer mit den samstäglichen Einkaufsbummlern wurde dann auch schnell sichtbar, wie weit entfernt die überwiegend von Studierenden besuchte Veranstaltung vom normalen Leipziger Alltag war. Einige Leute waren genervt, andere schmunzelten, aber bestimmt hat keiner länger als ein paar Sekunden damit zugebracht, die Botschaft der Demo zu ergründen.

Dana Jestel


Weitere Informationen: degrowth.info/de/leipzig-2014

  1. Uwe Schneidewind: Wirtschaftswissenschaftler, seit 2010 Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie
  2. Harald Welzer: Soziologe, Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung „Futurzwei“
  3. Meinhard Miegel: Soziologe, Publizist, Mitbegründer des Instituts Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn

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