Aus DER RABE RALF Oktober/November 2014, Seite 3
Senat übergibt Interessenbekundung an den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB)
Berlin. „Die ganze Welt in unserer Stadt“ – unter diesem Titel steht die 48-seitige Hochglanz-Broschüre des Senats zur Interessenbekundung für die Olympischen Sommerspiele 2024/28, die er am 31. August an den DOSB übergab. Doch was steckt hinter der metaphorischen Formulierung? Im Folgenden werden zu den Bereichen Verkehr, Partizipation, Sportinfrastruktur und Finanzierung einige Passagen der Senatsbroschüre näher unter die Lupe genommen. In einer Reihe wird in den nächsten RABE RALF-Ausgaben auf ausgewählte Themen detailliert eingegangen.
Verkehr
Schon beim Thema Verkehr scheint den sogenannten Planern einigermaßen der Überblick verloren gegangen zu sein. Anders lassen sich Ergüsse wie „der Straßenverkehr [wird] mit größeren Projekten schwerpunktmäßig verbessert, etwa durch den Weiterbau der Stadtautobahn A100 oder die Tangentialverbindung Ost“ (S. 11) und „Verkehrsinfrastruktur [steht] bereits komplett olympiatauglich zur Verfügung“ (S. 6) nicht erklären. Weder A100 noch Tangentialverbindung Ost (TVO) stehen olympiatauglich zur Verfügung. Und angesichts planerischer Großtaten wie der des Flughafen BER ist keineswegs sicher, dass sie es 2024 oder 2028 tun werden. Mit Verlaub sei der Kommentar gestattet, dass es zur TVO noch nicht einmal eine Beschlussfassung oder festgelegte Streckenführung gibt.
„ÖPNV, Radverkehr und autoarme Siedlungsstruktur werden weiter ge-
stärkt“ (S. 12) – das klingt ganz zauberhaft, der Bau einer Autobahn (und eine mögliche TVO) sowie eine autoarme Entwicklung widersprechen sich aber ebenso, wie die BVG als landeseigenes Unternehmen mit über 800 Millionen Euro Schulden für einen weiteren Ausbau des ÖPNV steht.
Partizipation
„Berliner Spiele sind demokratische Spiele“ (S. 4) – eine durchaus wünschenswerte Dimension, leider aber lediglich Worte. Eine dubiose Online-Umfrage des Senats, deren Ergebnis auch in die Unterlagen zur Interessenbekundung eingeflossen sei, gab bereits vor einigen Wochen Rätsel auf. So war die Umfrage versteckt im Internet, eine Pressemitteilung zur Beteiligung gab es nicht. Die Frage, nach dem ob wurde gar nicht erst gestellt, einzig und allein das wie spielte eine Rolle. Die Phasen der Beteiligung (Vergleiche S. 37) ziehen allein dem Wort Partizipation die Schuhe aus.
Auch die Aussage, dass das Parlament in den Prozess der Interessenbekundung durch den Berliner Senat von Anfang an eingebunden war (Vergleiche S. 34), ist einfach frech. Informiert wurde stets nach und nicht vor getroffenen Entscheidungen, eine direkte Beteiligung gab es nicht. Ebenso wenig liegt bislang ein Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin zum Themenkomplex Olympia-Bewerbung vor.
Weitere Beispiele, die belegen, dass Bürgerbeteiligung mit Füßen getreten statt von Hand geküsst wird, sind das gegenwärtig auf dem östlichen Gelände des Flughafens Tegel vorgeschlagene olympische/paralympische Dorf sowie die temporären Sportflächen. Der Flächennutzungsplan und Masterplan Tegel – Ergebnis eines langwierigen Workshop-Prozesses – weisen größere Grünflächen und kleinere Gewerbeflächen aus als in der Interessenbekundung (Vergleiche S. 14) dargestellt.
Sportinfrastruktur
In seiner Broschüre spricht der Senat von einer bereits heute vorhandenen hervorragenden Sportinfrastruktur (Vergleiche S. 17). Dabei gibt es bei der Sanierung bestehender Sportanlagen laut Landessportbund ein Defizit von 300 Millionen Euro. Jährlich ist ein Investitionsvolumen von neun Millionen Euro im Schul- und Sportstättensanierungsprogramm eingestellt. Einen derartigen Sanierungsstau würde man eher mit dem Adjektiv desaströs als hervorragend in Verbindung bringen.
Dass Berlin bereits über viele Großsportanlagen verfügt, ist richtig. Zum Teil sind diese sogar olympiatauglich. Oder nicht? Die im Zuge der Olympia-Bewerbung für die Spiele im Jahr 2000 errichtete Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE) entsprach 2014 nicht einmal mehr den Kriterien der Schwimmeuropameisterschaften. Alternativ musste für die Schwimmwettkämpfe ein mobiles Becken für viel Geld im benachbarten Velodrom aufgestellt werden.
Finanzierung
Gesetzt wird auf einen größeren finanziellen Zuschuss des Bundes. „Die Finanzierung des Landesanteils würde aus den laufenden Haushalten bis 2024 beziehungsweise 2028 erfolgen“, so heißt es auf Seite 29. Bekräftigt wird dabei, dass keine neuen Schulden entstünden. Da intensiv auf Schuldenabbau hingearbeitet wird, stellt sich die Frage, wo die finanziellen Aufwendungen stattdessen weggenommen werden. Wo tut es am wenigstens weh?
Die Kosten für die Wettkampfstätten (Instandsetzung, Neubau, temporäre Errichtung) werden sich auf circa zwei Milliarden Euro (Vergleiche S.25) belaufen. Aber Moment: Vor kurzem sprach der Senat noch von Investitionskosten von 1,5 bis 2 Milliarden Euro Gesamthöhe. Nun sollen allein die Wettkampfstätten für zwei Milliarden Euro hergerichtet werden. Mal abgesehen davon, dass es sich hierbei um den Preisstand von 2014 handelt, die Kosten zu Baubeginn also wesentlich höher sein werden.
Frühere Spiele an anderen Austragungsstätten zeigen, dass durchschnittliche Kostensteigerungen von real 179 Prozent und nominal 324 Prozent zu erwarten sind.
Bündnis NOlympia Berlin
Dass kann sich Berlin nicht leisten – findet auch das Bündnis NOlympia Berlin, das ständig wächst. Neben den Erstunterzeichnern (GRÜNE LIGA, Naturfreunde, NABU, Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus und einige mehr) sind mittlerweile auch andere Organisationen hinzugekommen. Darunter der Berliner Wassertisch(.info), die Mauerparkinitiative, das Büro für Umweltkommunikation, DIE LINKE Berlin und die Grüne Jugend Berlin, die dabei mehr Initiative ergreift als die dazugehörige Partei.
Mit mehreren Materialien und Aktionen macht das Bündnis öffentlichkeitswirksam auf sich und eine starke Gegenbewegung in der Bevölkerung aufmerksam. Mitte August trat das Bündnis zum ersten Mal in Erscheinung: Nebst der Kundgebung erschienen drei schwarz gekleidete Personen, die einen Bären in olympischen Ringen als Symbol für Berlin abführten und in ein Auto mit der Aufschrift „IOC“ setzten.
Eine weitere medienwirksame Aktion fand im Vorfeld der DOSB-Präsidiumssitzung Mitte September in Berlin statt. Dabei übergab das Bündnis dem DOSB-Präsidenten, Alfons Hörmann, eine eigene Beantwortung der 13 gestellten Fragen an die sich bewerbende Stadt aus Sicht der Olympiagegner. Hörmann signalisierte, auch für die Argumente des Bündnisses gesprächsbereit zu sein.
Am 6. Dezember entscheidet der DOSB, ob er sich mit Berlin, Hamburg oder keiner der beiden Städte beim Internationalen Olympischen Komitee bewirbt. Der SPD/CDU-Senat beweist immer wieder: Großprojekte sind eine Nummer zu groß für ihn. Unter den gegebenen Bedingungen in Berlin kann es 2024/28 keinen Sieger durch eine Olympia-Bewerbung geben.
Janine Behrens
Weitere Informationen:
www.nolympia-berlin.de
www.berlin.de/spiele-in-berlin/befragung/formular.148948.php
www.berlin.de/spiele-in-berlin/interessenbekundung/interessenbekundung-berlins-fuer-olympische-und-paralympische-spiele
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