Aus DER RABE RALF August/September 2014, Seiten 1 und 4
Senat strebt Austragung der olympischen Sommerspiele und Paralympics in Berlin 2024/28 an
Nach der Absage der Münchener Bevölkerung für die Olympischen Winterspiele 2022 im Dezember 2013 zauberte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Zusammenarbeit mit Lobbyisten und Politikern die nächste Schnapsidee aus dem Hut: Berlin und Hamburg sollen sich bei selbigem intern um die Bewerbung für die Austragung von Olympia 2024/28 bewerben. Feuer und Flamme für das neue Großevent ist natürlich der für Gigantismus wohl bekannte Berliner Senat, allen voran der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit.
Ein Blick zurück verrät jedoch: Nur selten hinterlassen Olympische Spiele einen Mehrwert für die Austragungsstätte. 2004 hinterließen die Spiele in Athen viele sogenannte „weiße Elefanten“ – aufgrund mangelnder Popularität einzelner Sportarten fehlt es zahlreichen Sportanlagen an einer Nachnutzung, sodass diese zum Teil bereits verfallen. Auch die hohe gesamtgriechische Schuldenlast ist durch die Spiele massiv gesteigert worden. Besonders dramatisch war die finanzielle Entwicklung in Peking 2008. Hier stiegen die anfangs veranschlagten Investitionen auf unglaubliche 44 Milliarden US-Dollar. Gesetzlich ist in Peking festgelegt worden, dass sich bestimmte Menschengruppen während der Spiele von der Stadt fernzuhalten haben – moralisch nicht nachvollziehbar.
Auch Berlin musste schon einmal eine Schlappe einstecken: Bereits 1993 bewarb es sich für die Olympischen Spiele 2000 – und bekam eine bittere Absage vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Ein Mitglied bezeichnete Berlin als „erbärmliches Schlusslicht“ im sportlichen Bereich.
Ist Berlin Sporthochburg?
Mittlerweile ist das tatsächlich so. In Berlin leben viele Interessierte und Aktive des Freizeit- und Breitensportes. Auch internationale Wettkämpfe wie die Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 sind bereits erfolgreich in der Hauptstadt bestritten worden. Jedoch ist Olympia mit den Anforderungen und Kriterien des IOC ein ganz anderes Kaliber.
Berlin verfügt zwar über eine bereits gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ebenso wie über große Sportstätten wie beispielsweise Olympiastadion, Velodrom oder die O2-World als Veranstaltungshalle. Jedoch hat Berlin einen enormen Investitionsbedarf für Schul- und Breitensportstätten. Im 4. Sportbericht des Berliner Senats heißt es, dass „viele der Sportanlagen in baulicher, sicherheitstechnischer und sportfunktionaler Hinsicht teilweise erhebliche Mängel aufweisen, sodass ihr Bestand nicht als gesichert bezeichnet werden kann“. Der Landessportbund Berlin schätzt den Sanierungsbedarf für die Berliner Sportanlagen auf mehr als 300 Millionen Euro. Aufgrund des Sparkurses fehlen dem Land Berlin dafür die finanziellen Mittel, sodass sowohl Schul- als auch Schulschwimmsport zum Teil ausfallen.
Hinzu kommt, dass Berlin mit 60 Milliarden Euro Miesen hochverschuldet ist – allein die Bewerbung soll zwischen 50 und 60 Millionen Euro verschlingen, die bei einer Absage in den Sand gesetzt wären.
Das weitere Olympia-Procedere sieht wie folgt aus: Bis zum 31. August müssen Berliner und auch Hamburger Senat den Fragenkatalog des DOSB ausfüllen. Am 6. Dezember entscheidet die Mitgliederversammlung des DOSB darüber, ob sie Berlin oder Hamburg mit einer Bewerbung, die im Herbst 2015 beim IOC erfolgt, ins Rennen schickt. Schließlich entscheidet zwei Jahre später das intransparente IOC im Herbst 2017 über den Austragungsort der olympischen Sommerspiele und Paralympics 2024/28.
Drahtzieher IOC
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) setzt sich im Wesentlichen aus einer Altherren-Runde zusammen, gegenwärtig mit dem deutschen Thomas Bach als Präsident an der Spitze. Seiner eingetragenen Gesellschaftsform wird es kaum gerecht. Als in der Schweiz eingetragener gemeinnütziger Verein hat sich das IOC längst zu einem der größten privatwirtschaftlich finanzierten Unternehmen der Welt entwickelt. Mit einem Gesamtwert von 47,6 Milliarden US-Dollar war die Marke Olympia 2012 mit dem IOC voran laut Expertenrechnung international das zweitwertvollste Unternehmen.
Wie kommt das IOC zu diesen massiven Gewinnerträgen? Zum einen beansprucht es alle Rechte an olympischen Symbolen wie Fahnen, Mottos und den Spielen insgesamt. Hinzu kommen die Host-City-Contracts, das heißt Sonderrechte, die von den Ausrichterstädten bereits vor dem Einreichen der ersten Bewerbungsunterlagen verlangt werden. Kern dieser Sonderrechte ist, dass potenzielle Ausrichterstädte verpflichtet werden, umfangreiche Garantien abzugeben. So müssen die Ausrichter eine gesamtschuldnerische Haftung in unbegrenzter Höhe für sämtliche Verpflichtungen übernehmen. Ferner fordert das IOC vollständige Steuerbefreiung. Zu den weiteren Sonderrechten zählen extra Fahrspuren zu allen Sportsstätten für Funktionäre und Ehrengäste sowie die Genehmigungspflicht des IOC für Einladungen oder Akkreditierungen ausländischer Gäste.
Der finanziell profitabelste Bereich für das IOC ist das Sponsoring. Unter dem Titel „The Olympic Partner Programme“ vergibt das IOC die internationalen Marketingrechte an den Olympischen Spielen. Neun bis zwölf Konzerne bescheren dem IOC so milliardenschwere Erlöse. Hinzu kommt ein weiteres Schmankerl: Das IOC hält die Rechte an Olympia und kann durch die exklusive Vergabe der Übertragungsrechte auf dem Medienmarkt richtig abkassieren.
Gern wirbt das IOC darüber hinaus mit den Gewinnen, die die Ausrichterstätte aus den Spielen ziehen. Die Geschäftspraxis zeichnet ein anderes Bild. Bei den Vorgaben zur Budgetierung entscheidet das IOC zwischen dem Durchführungsbudget und dem Infrastrukturbudget. Richtig ist, dass das Durchführungsbudget – also von der Eröffnungs- bis zur Schlussfeier – Gewinne abwirft. Es beinhaltet die laufenden Einnahmen und Ausgaben der unmittelbaren Organisation der Spiele. Das Infrastrukturbudget hingegen beinhaltet alle für die Spiele notwendigen Investitionen, die aber zeitgleich auch anderweitig nachnutzbar sind. Besonders in diesem Bereich fallen Milliardensummen in unkalkulierbarem Ausmaß an – beispielsweise Verkehrsinfrastruktur, Sportstätten, Olympisches Dorf.
Fazit
Umwelt- und Naturschutz: Sportstätten, die den überdimensionierten Kriterien von olympischen Spielen „gerecht“ werden sollen, gehen mit einem großen Flächenbedarf einher. Die letzten Berliner Freiflächen – die offenen grünen Oasen, für die Berlin weit über seine Landesgrenzen hinaus bekannt ist – dürfen nicht noch mehr zum Gegenstand der Begehrlichkeiten der Bauindustrie und der Lobby für große Bauprojekte werden.
Auch das erhöhte Verkehrsaufkommen und die Emissionen der jahrelang bestehenden Baustellen in der Stadt tragen nicht dazu bei, die ambitionierten Klimaziele der Hauptstadt bis 2050 zu erreichen. Mit ökologischer Mobilität haben Spiele dieser Größenordnung nichts gemein – generell bringt Olympia keinen ökologischen Mehrwert, ?vielmehr führt es zu einer Verschlechterung des Status quo.
Nachhaltigkeit: Was die Nachhaltigkeit betrifft, haben wohl noch keine olympischen Spiele herausragende positive Spuren am Austragungsort zurückgelassen. Ein gutes Beispiel bringt Berlin da aber auch selbst: Im Rahmen der Bemühungen für die Olympischen Spiele 2000 sind die Max-Schmeling-Halle und das Velodrom geplant und letztendlich auch gebaut worden. Heute sind beide nicht annähernd ausgelastet – das Defizit wird durch die Senatskasse, also de facto den Steuerzahler, ausgeglichen. Die Sprung- und Schwimmhalle in der Landsberger Allee, die ursprünglich auch für Olympia 2000 geplant und realisiert wurde, entspricht heute nicht einmal mehr den Kriterien für die Schwimm-Europameisterschaften in diesem Jahr – ein Betrieb dahingehend ist nur mit Ausnahmeregelungen möglich.
Bürgerbeteiligung: Eine repräsentative Volksbefragung, ob die Bürgerinnen und Bürger Berlins hinter Olympia stehen oder eine Bewerbung ablehnen, ist zeitlich und juristisch, wenn überhaupt gewollt, kaum noch zu schaffen. Lieber beantwortet der Berliner Senat in der Sommerpause den Fragenkatalog des DOSB. Die Witzbefragung, die nur auf Umwegen beim Senat zu finden ist, ist rein manipulativ mit Fragen nach dem Motto: Finden Sie Sonnenschein eher gut oder schlecht? Ein konstruktiver Dialog auf Augenhöhe sieht anders aus.
Soziale Infrastruktur: Olympische Spiele haben seit jeher sozial schwache Menschen aus der Austragungsumgebung vertrieben. Zahlreiche illegale Zwangsumsiedlungen wegen massiv steigenden Mieten sind häufig die Folge. Zum Vergleich: In London stiegen die Mieten von beispielsweise 350 Pfund pro Woche auf 6.000 Pfund pro Woche. Aber schließlich will ja niemand die prunkvollen Spiele im „sozialen Brennpunkt“ genießen müssen. Auch der Wohnungsneubau im Rahmen der olympischen Dörfer ist kritisch zu betrachten. Auch wenn diese Wohneinheiten barrierefrei sind, was durchaus zu begrüßen ist, werden sie nach den Spielen wohl kaum bezahlbar zur Verfügung stehen.
Als besonders fatal stachen überdies die Folgen der olympischen Spiele in London 2012 heraus: Zahlreiche Sportflächen sind in diesem Zuge privatisiert worden und stehen der Bevölkerung nicht mehr frei zur Verfügung.
Finanzierung: Mit 120 Metern über Normal Null ist nicht der Teufelsberg Berlins höchste Erhebung, sondern der 60 Milliarden große Schuldenberg. Eine Stadt, die tausende Personalstellen in der öffentlichen Verwaltung abbaut, um Geld zu sparen, und wo Personal in allen Bezirksämtern fehlt, kann sich kein Olympia leisten.
Dass Berlin bei der Realisierung von Großprojekten – genannt sei hier nur kurz der bis heute nicht eröffnete Großstadtflughafen BER – mit Peinlichkeit statt Organisationstalent glänzt, ist mittlerweile vielerorts bekannt. Der Berliner Senat tut für seine Bürgerinnen und Bürger alles, um mit Größenwahn den Karren noch tiefer in den Dreck zu fahren. Dafür vernachlässigt er staatliche Bildungsaufgaben: Die Sicherung von Schulsport- und Schwimmunterricht in intakten Einrichtungen bleibt außen vor.
Janine Behrens
Weitere Informationen:
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