Zwei-Grad-Ziel gefährdet

Aus DER RABE RALF Dezember 2014/Januar 2015, Seiten 1, 4/5

Keine Überraschungen im neuen Klimabericht – Abschaltung von Kohlekraftwerken gefordert

Heißere Sommer, mildere Winter, Dürren, Überschwemmungen und Orkane: Die Folgen des Klimawandels sind schon heute spürbar, doch der Klimaschutz tritt auf der Stelle. Der Klimagipfel im September in New York führte trotz weltweiter Demonstrationen zu keinem konkreten Ergebnis. Anfang November hat der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, was so viel heißt wie „Gremium der Regierungen für den Klimawandel“) seinen Synthesebericht zum Klimawandel veröffentlicht. Dieser Bericht bildet den vierten und letzten Teil des fünften Sachstandsberichts, den der IPCC seit 2013 vorgelegt hat. Er fasst den Zustand des Klimas auf unserer Erde zusammen und enthält vor allem auch Prognosen bis zum Jahr 2100 und darüber hinaus.

Diese Vorhersagen überraschen nicht, sondern sie bestätigen lediglich, was schon bekannt ist: Es steht nicht gut um unseren Planeten, wenn nicht endlich entschiedener und konsequenter gegen die Klimaerwärmung vorgegangen wird. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird sich die bodennahe Atmosphäre der Erde bis zum Jahr 2100 im Durchschnitt um bis zu 5,4 Grad Celsius erwärmen und der Meeresspiegel bis zu 82 Zentimeter höher sein als heute. Auch wenn dieser Anstieg des Meeresspiegels relativ harmlos klingt, würde er doch weite Teile der dicht besiedelten Küstengebiete überfluten und Millionen Menschen zur Umsiedlung zwingen.

Es gibt zwar immer noch Skeptiker, die behaupten, der anthropogene Klimawandel sei ein Lügenmärchen. Doch dass wir Menschen zur Erwärmung der Erde beitragen, kann mit hoher Sicherheit gesagt werden. Seit 1880 ist die Temperatur an den Oberflächen der Kontinente und Ozeane schon um 0,85 Grad Celsius gestiegen. Aufgrund des globalen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums ist der Treibhausgasausstoß, welcher bekanntlich die Hauptursache der Erwärmung ist, momentan auf dem höchsten Stand seit der vorindustriellen Zeit. Da der größte Teil der überschüssigen Energie, welche durch die Erwärmung in das Klimasystem gelangt, von den Ozeanen aufgenommen wird und diese zunächst erwärmt, merken wir auf den Kontinenten sogar noch relativ wenig von der globalen Erwärmung.
Dabei bedroht der Klimawandel schon heute empfindliche Ökosysteme wie zum Beispiel die Korallenriffe. Außerdem werden die Wasserressourcen beeinträchtigt, und die Erträge bei Weizen und Mais gehen zurück. Hinzu kommt, dass sich der Anstieg des Meeresspiegels und viele andere Folgen des Klimawandels noch über Jahrhunderte hinziehen werden, selbst wenn die anthropogenen Treibhausgasemissionen heute gestoppt würden. Allein das CO2, welches bis heute ausgestoßen wurde, wird die Erde noch bis ins späte 21. Jahrhundert hinein erwärmen.

Kann Emissionsminderung erreicht werden?

Die internationale Klimapolitik hat sich zum Ziel gesetzt, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu beschränken. Um dies zu erreichen, darf ab 2100 auf der ganzen Welt fast gar kein CO2 mehr emittiert werden. Zusätzlich zu den Anstrengungen, die globale Erwärmung zu begrenzen, werden aber auch Anpassungsmaßnahmen erforderlich sein, um den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Denn selbst wenn das zwei-Grad-Ziel erreicht wird, werden die Auswirkungen der Erwärmung spürbar sein. Doch wie kann diese massive Minderung von Emissionen erreicht werden? Neben einer schnelleren Verbesserung der Energieeffizienz muss der Anteil kohlenstofffreier und –armer Energien an der Energieversorgung drei bis vier Mal so hoch werden wie heute. Dabei setzt der IPCC neben den erneuerbaren Energien auch auf Atomenergie und fossile Energie, gekoppelt mit der Abtrennung und Speicherung von CO2 bis 2050. Bis dahin sollte die Menschheit eigentlich in der Lage sein, auf Kohle, Atom und Co. zu verzichten, aber der CO2-Speicherung ist mit Skepsis zu begegnen. Niemand kann garantieren, dass dieses Gas nicht irgendwann wieder an die Erdoberfläche gelangt. Laut einer Studie der Stanford University kann der CO2-Ausstoß durch die Kohlenstoffdioxidspeicherung sogar steigen, weil für Abscheidung, Transport und Verpressung von CO2 hohe zusätzliche CO2-Emissionen entstehen.

Ein großes Hindernis bei der Verringerung der Treibhausgasemissionen ist unser Wirtschaftssystem, welches von stetigem Wachstum abhängig ist. Die Umsetzung des Zwei-Grad – Ziels wird erhebliche Anstrengungen kosten, welche auch das globale Wirtschaftswachstum dämpfen werden. Es gibt mehrere Studien, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Sie rechnen mit einer Verringerung des Wirtschaftswachstums um 0,06 Prozent pro Jahr gegenüber einem Wachstum von drei Prozent pro Jahr ohne Klimaschutz.

Um die Minderung der Treibhausgasemissionen zu schaffen, sind geeignete Institutionen sowie eine kluge Regierungsführung notwendig. Außerdem sind mehr Innovationen und Investitionen in umweltfreundliche Technologien und Infrastruktur nötig. Dies muss auch von der Regierung stärker gefördert werden. Des Weiteren müssen das Verhalten und der Lebensstil der Menschen nachhaltiger werden. Hierbei betont der IPCC in seinem Bericht noch einmal, dass es nichts bringt, wenn einzelne Akteure oder Staaten beim Klimaschutz ihr eigenes Ding machen, sondern dass es wichtig ist, dass alle an einem Strang ziehen. Schließlich teilen wir uns alle dieselbe Erde, deswegen erfordert ein wirksamer Klimaschutz gemeinsame Lösungen.

Politik der Bundesregierung zeigt gute Ansätze

Bundesforschungsministerin Johanna Wanka und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sehen Deutschland in einer zentralen Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels. „Der Bericht ist alarmierend und ermutigend zugleich“ sagte Barbara Hendricks. „Deutschland kann international eine wichtige Rolle spielen, wenn wir zeigen, dass Klimaschutz in einem Industrieland funktioniert. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unser nationales Ziel erreichen, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu mindern“ fügte sie hinzu. Die Staatengemeinschaft müsse jetzt alles daran setzen, 2015 in Paris ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen zu verabschieden.

Bei diesen Worten von der Umweltministerin kann es nicht sein, dass weiter auf Kohle gesetzt wird und immer noch neue Braunkohletagebaue erschlossen werden sollen. Sie hat zwar vor, die Kohlekraftwerke abzuschalten, aber nur in Absprache mit den Betreibern. Tatsächlich könnten durch einen Ausbau regenerativer Energien und nachhaltigen Tourismus in traditionellen Kohleregionen wie der Lausitz weit mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als ein fortgesetzter Kohleabbau sichern würde.

Darüber hinaus befinden sich vier von fünf europäischen Kohlekraftwerken mit dem höchsten CO2-Ausstoß in Deutschland. Seit zwei Jahren steigen die CO2-Emissionen in hierzulande sogar wieder an. Die Bundesrepublik als Vorreiter im Klimaschutz zu bezeichnen, ist also eine reine Selbstbeweihräucherung. Immerhin möchte die Bundesregierung Anfang Dezember ein Klimapaket schnüren. Darin sollten sich die Erkenntnisse des Weltklimarates wiederspiegeln.

Bundesforschungsministerin Wanka betonte die Rolle der Wissenschaft beim Klimaschutz. „Ohne Forschung werden wir die Energiewende nicht schaffen“ sagte sie. „Wir müssen weitere Einsparpotenziale aufdecken und nutzen.“ Der IPCC-Bericht sei auch ein Signal an die internationale Forschungspolitik, mehr klimafreundliche Technologien zu entwickeln. Möglichkeiten, Energie einzusparen, gibt es viele, vor allem bei elektrischen Geräten. Ein Beispiel dafür sind Dienstleistungsautomaten, also Fahrkarten- und ähnliche Automaten. Von diesen Geräten gibt es in Deutschland zwei Millionen mit einem jährlichen Energieverbrauch von 1600 Gigawattstunden, das entspricht einem CO2-Ausstoß von knapp einer Million Tonnen im Jahr. Mit Hilfe des Bundesforschungsministeriums wurde eine Technologie entwickelt, mit der Ticketautomaten nur noch halb so viel Strom verbrauchen. Es reicht allerdings nicht, nur auf die Energieeffizienz zu schauen, sondern auch auf die geplante Obsoleszenz. Denn der geplante Verschleiß von Produkten, muss eingedämmt werden. Schließlich belasten elektrische Geräte die Atmosphäre mit CO2 vor allem durch ihre Herstellung mit und nicht bei ihrem Gebrauch. Elektrische Geräte müssen wieder so hergestellt werden, dass sie möglichst lange halten und leicht reparierbar sind.

Rasche Abschaltung von Kohlekraftwerken gefordert

Die Ansätze der Bundesregierung in der Klimapolitik sind trotzdem gut. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob Umweltministerin Barbara Hendricks ihre Ambitionen in der großen Koalition durchsetzen kann. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sperrt sich beispielsweise gegen die Abschaltung der Kohlekraftwerke, welche nötig wäre, um das Ziel der geplanten CO2-Reduzierung noch zu erreichen. In einem Positionspapier betonte er, dass die Unternehmen und nicht der Staat entscheiden sollten, welche Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Wer neben dem schrittweisen Atomausstieg bis 2022 auch noch aus der Kohleverstromung aussteigen wolle, sorge für explodierende Stromkosten, die Abwanderung großer Teile der Industrie und Versorgungsunsicherheit in Deutschland.

Der Greenpeace-Klimaexperte Martin Kaiser sagte hingegen: „Die erneuerbaren Energien sind inzwischen technisch so ausgereift und wirtschaftlich so konkurrenzfähig, dass sie fossile Energien und Atomkraft bis zur Mitte des Jahrhunderts schrittweise ersetzen können.“ Es müsste also machbar sein, bis 2020 zumindest einige Kohlekraftwerke abzuschalten.

Während sich die deutsche Bundesregierung vor allem selbst lobt, anstatt zu handeln, hat der dänische Klimaminister Rasmus Helveg Petersen angekündigt, schon 2015 statt wie geplant 2030 aus der Kohle auszusteigen. „Der Report des Weltklimarates hat mich überzeugt, dass wir fossile Brennstoffe früher als gedacht auslaufen lassen müssen“, begründete er seine Entscheidung. Hier sollte die deutsche Regierung nachziehen, vor allem auch im Hinblick auf das internationale Klimaschutzabkommen, welches 2015 in Paris verhandelt wird.

Der Vorsitzende des BUND, Prof. Dr. Hubert Weiger, sieht in dem
Klimabericht auch eine klare Handlungsaufforderung an die Regierung. „Schriller können die Alarmsignale nicht sein. Es gibt keine Entschuldigung mehr für das Zögern beim Klimaschutz“ kommentierte er den Bericht. Außerdem appellierte er an die Bundesregierung, die Bemühungen um ein schlagkräftiges Klima-Aktionsprogramm für die Erreichung der Klimaziele bis 2020 zu verstärken. „Ein Scheitern der Bundesrepublik beim Klimaschutz wäre unverantwortlich und vermeidbar, zumal es noch Möglichkeiten zum Handeln gibt“, so Weiger. Es sei nun klimapolitische Kernaufgabe in Deutschland, die boomende Kohleverstromung einzudämmen. „Als Sofortmaßname ist es nötig, zehn Gigawatt an überflüssigen Kohlekraftwerken vom Markt zu nehmen“ sagte der BUND-Vorsitzende. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse den Vorschlag zur Abschaltung der Kohlekraftwerke unterstützen und dürfe nicht zulassen, dass er von kurzsichtigen wirtschaftlichen Interessen blockiert wird.

Momentan verfehlt Deutschland leider gleich zwei der drei EU-Klimaschutzziele. Es hinkt sowohl bei der Emissionsreduktion, als auch bei der Energieeffizienz hinterher. An den steigenden Emissionen ist laut Barbara Hendricks der nicht funktionierende Emissionshandel schuld, den sie reformieren will. Trotzdem sind hierzulande größere Anstrengungen vonnöten. Deutschland ist wahrlich kein „weltweit führendes Klimaschutzlabor“, wie Hendricks und Wanka schwärmen.

Fazit

Ottmar Edenhofer, Vorsitzender der Arbeitsgruppe drei beim aktuellen Sachstandsbericht, fasst zusammen: „Wir haben die Wahl. Noch in den nächsten zwei bis drei Dekaden ist es möglich, den Klimawandel zu bremsen.“ Werde nichts unternommen, gehe die Erde einer Erwärmung um vier Grad entgegen – mit unabsehbaren Risiken. Dabei koste es nicht die Welt, die Welt zu retten. Viele Menschen auf der ganzen Welt sehen das genauso. Im September wurde beim weltweiten Klimaaktionstag schon ein starkes Zeichen gesetzt. Jetzt ist es wichtig, dass weiterhin Druck auf die Regierungen ausgeübt wird. Dafür müssen auch 2015 weltweit Demos und Aktionen zum Klimaschutz stattfinden. Es ist im Interesse der gesamten Weltbevölkerung, dass das Zwei-Grad-Ziel erreicht wird. Ein internationales Klimaschutzabkommen, indem sich alle Industriestaaten zu drastischen und ambitionierten Emissionsreduktionen verpflichten, wäre dafür ein guter Schritt.

Nach Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht über die bilateralen Klimaverhandlungen zwischen China und den USA. Die USA haben vor, ihren CO2-Ausstoß bis 2025 im Vergleich zu 2005 um 26 bis 28 Prozent zu mindern. China möchte seine Emissionen bis 2030 auch reduzieren und nennt damit erstmals ein Datum. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich diese zweiseitige Übereinkunft auf ein mögliches Klimaabkommen im nächsten Jahr auswirken wird.

Veit Ulrich

Weitere Informationen:
www.de-ipcc.de/de/200.php
www.bmub.bund.de/themen/klima-energie/klimaschutz
www.bund.net/nc/presse/pressemitteilungen

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