Essen und Trinken

Aus DER RABE RALF November 1994

Rezepte für Autonome

Wohl die erste schlüssige – weil befreiende – Erfahrung hatten wir mit der Ernährung. Denn wir empfanden uns als Sklaven der Supermärkte, als wir in der Stadt ständig die Einkaufswagen füllen mußten, um was zum Beißen zu haben. Ein kleiner Garten brachte schon Erleichterung, aber der Durchbruch kam erst, als wir dann auf dem Land Weizen bei einem Nachbarn kauften. Und jeder könnte es – auch in der Stadt – gleich heute nachvollziehen.

Mit nichts als Vollkornschrot, Salz und Wasser lassen sich köstliche Pfannkuchen backen (mit einigem Geschick sogar ohne Öl, direkt auf der Herdplatte). Der gleiche Teig läßt sich ausrollen, zu Nudeln schneiden und trocknen. Ebenso kann man ihn – flüssiger – zu Brei kochen. Oder einfach über Nacht stehen lassen und morgens ins Müsli einrühren. Nicht zu vergessen: das ganze Korn gekeimt als Salat (auf einem Teller tagsüber mit Wasser, nachts ohne, bei Zimmertemperatur drei Tage lang).

Oder einen Teigball mit Öl und Honig einige Tage lang mit etwas Mehl leicht kneten, bis er säuert – so einfach ist der Sauerteig. Diesen dann in einen Brotteig (wieder Mehl, Salz und Wasser) einarbeiten, über Nacht gehen lassen, im Backofen braun backen. Das ist Brot!

Dazu einige Hinweise: am leichtesten gelingt Kastenbrot. Dieses wird hergestellt aus nicht zu festem Teig, kaum geknetet in eine Backform gegeben und nach dem Aufgehen in der Form gebacken. Dann, da es aus relativ feuchtem Teig hergestellt wird, aus der Form nehmen und drei Tage austrocknen lassen. Es wird mit jedem Tag besser im Geschmack! Und kein Brot ist genau wie das andere: mal kommt Roggenmehl hinzu, mal Maismehl oder Leinsamenschrot. Oder gekeimtes Getreide. Oder Kümmel. Oder Molke statt Wasser. Selbst Buttermilch oder Joghurt. In einem Küchenofen sollte man eher ein flaches Brot backen (Fladenbrot), da die Hitze für ein großes Brot oft nicht ausreicht.

Genug zum Getreide. Ich sprach davon so lange, weil eigentlich nur hier besondere Erfahrung nötig ist. Dazu kamen dann in unserem Fall: Obst, Nüsse, Milch, Honig, dann Gemüse, Kartoffeln.

Du bist, was du ißt

Das ist unsere Erfahrung: wenn man seine Ernährung auf diese Weise sichert, dann lebt man nicht nur ”wie Gott in Frankreich”, sondern ist auch relativ leicht unabhängig von Supermärkten und so weiter. Denn dies alles läßt sich nach und nach in eigener Produktion gewinnen.

Wenn man dann noch herausfindet, daß ein paar Sack Äpfel, getrocknetes Obst, Hagebutten, Sanddorn, Preiselbeeren, Sauerkraut und anderes Sauergemüse (selbst einsäuern!) gut über den Winter helfen – wenn man darauf kommt, daß alle jungen Sprosse von Baum und Strauch neben Feldsalat und Löwenzahn, jungen Brennesseln (gedünstet), und aus dem Garten Topinambur, Wintersalat, gekeimte Kresse, Senf, Soja herrlich abwechslungsreich die Zeit bis zu den Kirschen überbrücken – wenn man herausfindet, daß man mit alledem nicht nur überlebt, sondern lebt – und zwar gut lebt – was kann einen dann noch viel erschüttern?

Wie weit entfernt man sich dann von allem Raffinierten, Vorgekochten, Konserviertem (E233, E412, E310, E… E… E…)

Viel davon läßt sich schon in der Stadt verwirklichen, obwohl auf dem Land die Bedingungen natürlich viel günstiger sind. Und wohl nur hier kann man dann auch an Eier, Milch, Käse und Honig aus eigener Produktion denken. Und zum eigenen Getreide ist’s nur ein Schritt mehr.

Ich weiß nicht, ob jemand, dem diese Erfahrung fehlt, ermessen kann, wie groß das Gefühl der Befreiung ist, das mit ihr einhergeht. Man steht schon fast auf eigenen Füßen. Denn du bist, was du ißt.

Es braucht einen Sack Getreide und eine Handmühle. Das kann für den Anfang auch eine ausgediente Kaffeemühle sein. Getreide ist eine natürliche Konserve, durch Keimen, Mahlen oder Kauen schließen wir sie auf – und verbrauchen sie, ehe sie verdirbt. Verarbeitetes Getreide soll man nie länger als zehn Tage oder zwei Wochen aufheben müssen – es ist nicht länger haltbar.

Und wir sollten unseren Vorrat an Getreide auch nicht im Keller den findigen Ratten überlassen – dazu ist es zu kostbar, und die Ratten ernähren sich auch ohne unsere Hilfe. Bei uns steht der Getreidekasten im Schlafzimmer, wo wir jeden eventuellen Eindringling sofort ausmachen und vertreiben können.

Ohne Fleisch, ohne Zucker?

Beim Lesen wird aufgefallen sein, daß vom Fleisch keine Rede ist. Aus zwei Gründen. Einmal ist es für die Ernährung nicht nötig, da man mit pflanzlichem Eiweiß (Grünblatt, Getreide, Soja) sehr wohl vollwertig ernährt ist, und zweitens, weil die Zwischenschaltung eines Tiermagens die Tierhaltung und die Ernährung der Tiere mit sich bringt. Diese aber verlangt einen vielfach höheren Aufwand, als das für unsere Ernährung gewonnene Fleisch dann wert ist – es sei denn, man kann z. B. Ziegen einfach in die Berge schicken.

Dazu einige Zahlen: 100 kg Getreide decken den Jahresbedarf eines erwachsenen Menschen, wenn er sich ernährt, wie wir es tun. Die BRD produziert fast 400 kg pro Bundesbürger und führt noch einmal dieselbe Menge ein – achtmal höher als nötig liegt also heute unser Getreideverbrauch. Wer sich auf eigene Beine stellen will, sollte dies bedenken. Und je eher dieses Bedenken zur Getreidenahrung führt, um so eher löst man sich von alten Eßgewohnheiten.

Dazu noch eins: Vollkorngetreide und Industriezucker vertragen sich nicht. Beides zusammen führt bei sensiblen Menschen zu erheblichen Beschwerden. Ein Grund mehr, auf Zucker zu verzichten. Und Zucker ist eine Droge. Zucker macht süchtig, mit allem was das im psychischen Bereich voraussetzt und nach sich zieht.

Wir selbst haben die Umstellung erst im Alter von 25 Jahren vollzogen. Unsere Kinder haben eine andere Ernährung gar nicht erst kennengelernt, und sie entwickeln sich ausgezeichnet dabei. Auf diesen Weg gebracht haben uns – neben Freunden und Bekannten – die Veröffentlichungen von Kollath, Bircher-Brenner, Bruker, Schnitzler. Diese begründen ihre Ernährung fast ausschließlich aus medizinischer Sicht. Eigenanbau etc. spielt bei ihnen im Grunde keine Rolle. Schade.

Was diesen angeht, haben uns im Anfang die Schriften von Seiffert, Pfeiffer, Rüsch, der Biodynamischen Forschungsstelle und der Abtei Fulda sehr geholfen – neben dem Rat von Nachbarn, die über ihr Tal natürlich am besten Bescheid wissen.

Aber: Buch bleibt Buch, und nur was man selbst erfahren hat, ist bleibender Besitz.


Gisbert Bölling

Der gesamte Text, erschienen unter demselben Titel als Nr. 55 der Broschürenreihe ”Der Grüne Zweig” bei Werner Pieper, Löhrbach, 69488


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