Transport und Reisen

Aus DER RABE RALF Februar 1995

Transport – wozu?

Unbegrenzt scheinen die Möglichkeiten, Dinge von einer Seite des Globus auf die andere (die unsere) zu transportieren (der Müll geht oft retour). Unbegrenzt scheint die Zahl der Güter, die uns dadurch zur Verfügung stehen. Rohstoffe aus allen Teilen der Welt haben unseren technischen Aufschwung ermöglicht. Das nordafrikanische Phosphat brachte unsere Felder zum Blühen, chilenisches Kupfer brachte unsere Lampen zum Leuchten, arabisches Öl unsere Räder zum Rollen.

Sobald aber die Völker der Dritten Welt ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, werden wir Abstriche machen müssen. Transporte werden entfallen, ersatzlos gestrichen. Es gibt keinen Ersatz für Ausbeutung.

Jeder Transport ist das Eingeständnis, nicht allein mit seinen Bedürfnissen fertig zu werden.

Ein Auge auf die Güter Anderer zu werfen, zieht Kolonialismus und Krieg nach sich; schon Plato wies in seinem Werk ”Der Staat” darauf hin.

Jede Familie könnte ihren Bedarf z.B. an Obst und Gemüse mit einem kleinen Garten hinter dem Haus decken. Unendliche Mengen an Transport- und Lageraufwand würden entfallen. Alle Probleme großer Plantagen (Kunstdünger, Spritzgifte usw.) würden entfallen. Die Dritte-Welt-Länder mit ihren Monokulturen könnten wieder zu natürlichen Ganzheiten werden.

Ausgerechnet Bananen

Jede Jahreszeit hat ihre Nahrung und jede Landschaft auch. Wir müssen sie nur finden. Und dazu müssen wir sie suchen.

Ja, natürlich – die Vitamine im Winter… Aber es gibt sie auch bei uns, ich sprach schon im Kapitel ”Ernährung” (RABE 11/94) davon, ohne Vitamine besonders zu erwähnen: Hagebutten, Sanddorn, Sauergemüse, gekeimtes Getreide, Kresse, Senf und anderes mehr.

Und andererseits: Vitamine brauchen wir nur in dem Maße, in dem wir Arbeit leisten. Wenn wir also in der lichtarmen Zeit unsere Energie sparen, nicht die Nacht zum Tag und den Winter zum Sommer machen, dann passen wir auch unseren Vitaminbedarf an die natürlichen Verhältnisse an.

Es gibt Früchte auf der anderen Seite der Erde, und es ist gut, daß es sie gibt. Und wenn ein Freund mir Datteln aus Nordafrika mitbringt, weise ich sie nicht zurück. Aber sie sollen bleiben, was sie bei uns sind: ein Gruß, ein Lächeln, eine Ausnahme. Auf die Bananen der Großimporteure können wir verzichten.

Reisen – ohne Hast

Reisen ist für viele ein Ausdruck von Freiheit. Fremde Länder und Kontinente sehen, seinen Horizont erweitern, Abenteuer erleben… Jeder kennt den modernen Tourismus.

Solange die Möglichkeiten dazu bestehen, werden sie wohl auch voll ausgenützt werden – ich selbst habe da meine Erfahrungen: Als Tellerwäscher nach Kanada, mit einem alten Auto in die Türkei, Charterflüge in die USA, mit einer Jazzband nach Moskau, ein Jahr als Deutschlehrer nach Finnland, Mitteleuropa per Anhalter… Diese Erfahrungen mögen es mir erleichtert haben, jetzt seit Jahren praktisch überhaupt nicht mehr zu reisen (Tiere binden). Aber im Nachhinein muß ich feststellen, daß auch Reisen für uns nur in dem Maße Bedeutung haben, wie sie persönlichen Aufwand und Einsatz verlangen.

Nehmen wir einen Besuch bei Freunden: besucht ein Eskimo das Dorf seiner Großeltern und legt dazu drei Tage im Hundeschlitten zurück, dann hat dieser Besuch bestimmt soviel Bedeutung für ihn und für die Besuchten wie bei uns ein ähnlicher Besuch mit dem Auto über 1200 km Autobahn. Ich glaube, daß wieder das eine Gesetz deutlich wird:

Die Bedeutung, die eine Handlung für uns hat, drückt sich im persönlichen und nicht im materiellen Aufwand aus.

Natürlich ist jeder persönliche Aufwand mit einem materiellen verbunden. Zwischen beiden aber steht ein Werkzeug. Wird dies von der Technik geliefert, dann multipliziert es bei gleichem persönlichen Aufwand die materielle Wirkung. Was das Reisen angeht, multipliziert ein entsprechendes Vehikel die in einem bestimmten Zeitraum zurückgelegten Kilometer. In gleichem Maße aber verliert die Entfernung an Bedeutung.

Entgegen einer allgemein von interessierter Seite vertretenen Meinung halte ich es für unrichtig, daß die modernen Verkehrsmittel die zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidend verbessert haben.

Tankstelle für immer geschlossen

Die Indianer glauben, daß einmal alle Transportmöglichkeiten ”mit einem Schlag” entfallen werden (auch die moderne Systemtheorie legt dies nahe). Wie jede schlagartige Veränderung wird auch diese gravierende Folgen haben. Und dann?

Das Wissen von Ländern und Völkern auf der anderen Seite des Ozeans wird sicher einige Generationen lang weitergegeben. Aber nur in dem Maße, in dem das Überleben es verlangt, werden alte Verbindungen wieder aufleben. Und von Zeit zu Zeit werden Reisende – es hat sie schon vor unserer Technik gegeben, warum nicht auch nach ihr – von den Anderen berichten. Ihre Berichte werden sich herumsprechen – in dem Maße, in dem die Menschen sich dafür interessieren. Kein technisches Medium wird nötig sein, um das Wesentliche zu übermitteln.

Vielleicht muß ich an dieser Stelle betonen: die modernen Transportmöglichkeiten und Medien gehören unmittelbar zur technischen Zivilisation hinzu und lassen sich nicht aus ihr herauslösen. Sie sind sogar unbedingt nötig, um diesen Zyklus der Weltgeschichte zum Ende zu bringen, um die begonnene Umwälzung zu vollziehen. Denn nur eine weltweite Katastrophe kann heilsam auf die Dauer werden; wäre ein Teil der Menschheit von dieser Entwicklung ausgeschlossen, würde er höchstwahrscheinlich schon nach einiger Zeit mit dem gleichen Abenteuer beginnen. Die Entwicklung, die wir durchlaufen, ist so zwangsläufig, daß die Menschheit sie zu Ende bringen muß, um von ihr erlöst zu werden.

Gisbert Bölling: Einfach anders leben, Der Grüne Zweig 55, Verl. W. Pieper, 36 S. A4.


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