Das Scheitern des modernen Naturmanagements

Aus DER RABE RALF Juni 1998

Vor diesem Hintergrund läßt sich die soziale und ökologische Krise genauer begreifen – die Krise, in der wir uns befinden und auf die das Konzept der Nachhaltigkeit antwortet. Die Krise besteht nicht darin, daß fossile Brennstoffe zu Ende gehen, daß die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre begrenzt ist oder daß sich das Artensterben beschleunigt. Es gibt keine absolute ökologische Grenze, an die der Kapitalismus stößt. Es gibt keine einzelne natürliche Grenze, die nicht mit den Mitteln des technokratischen Naturmanagements unter Umständen gesprengt werden könnte. Es ist vielmehr eine Krise des Aufwands, eine schleichende Erschöpfung, eine Grenze des steigenden Preises und der Widerstände dagegen. Es ist der Weg einer überalterten Figur, die sich mit immer größerem Aufwand immer kürzere Stücke weiterschleppen kann.

Denn entgegen allem, was erzählt wird, steigt der ökologische und soziale Preis für jeden weiteren Durchbruch des technokratischen Naturmanagements beständig. Das Verhältnis zwischen dem neuen öko-technischen Coup und der Menge gesichtsloser Natur und Arbeit, auf die dafür zurückgegriffen werden muß, verschärft sich.

Um das zu begreifen, muß man kein Experte in ökologischen Fragen sein. Es genügt zum Beispiel, wenn man Patience spielen kann. Auch beim Patience-Spielen werden gewünschte Ziele – die richtige Reihenfolge der Karten auf einem bestimmten Ablagestapel – herbeigeführt durch Verwendung einer Tischfläche voller Karten, die nach bestimmten Regeln hin- und hergeschoben werden. Die ausgebreiteten Karten und ihre Verschiebung liefern die Energie dafür, daß richtige Karten auf richtige Ablageplätze springen können. Die Energie ist begrenzt: wenn keine Karte mehr bewegt werden kann, ist das Spiel zu Ende. Wer Patience spielt, weiß, daß es in diesem Spiel Züge gibt, die zu genial sind. Sie bringen auf ihrem Weg zum gewünschten Ergebnis das ganze Spielfeld durcheinander, so daß hinterher nichts mehr geht. Sie kombinieren fünf bis zehn Einzelschritte miteinander, um eine Karte an den richtigen Platz zu bringen; aber das Spielfeld ist nicht groß genug, um viele solcher Kombinationen zu tragen. Je ausufernder die Kombinationen sind, um so größer müßte eigentlich der Tisch sein, umso mehr Karten und Legemöglichkeiten müßten vorhanden sein.

Nicht die Ressourcen, der Aufwand ist begrenzt

Das technokratische Naturmanagement findet immer genialere Spielzüge, die immer mehr Einzelschritte für ein gewünschtes Ergebnis kombinieren – und deshalb ist es darauf angewiesen, ständig auf größeren Tischen zu spielen, mit immer größeren Kartensätzen. (Angeblich waren 800.000 Menschen daran beteiligt, das Computer-Betriebssystem „Windows 95“ zu entwickeln.) Es macht alles zur Karte. Und die Krise tritt nicht dadurch ein, daß die Menge der Karten objektiv begrenzt wäre. Es gibt keine klare ökologische Grenze dafür. Die Krise besteht darin, daß immer mehr Aufwand betrieben werden muß, um neue Karten zu beschaffen. Daß auf immer größeren Tischen gespielt wird, mit immer höherem Risiko. Und daß die Karten immer weniger für einfache Züge zur Verfügung stehen: für die Kombinationen, die Menschen eigentlich für alltägliche, selbsterhaltende und selbstversorgende Naturnutzung brauchen. Die Möglichkeiten, diese Menschen dafür aus den Ergebnissen zu entschädigen, die das technokratische Management erwirtschaftet, sind aber eng begrenzt. Deshalb gilt immer öfter: entschädigt wird nicht.

Die sozial-ökologische Krise des Industriekapitalismus besteht darin, daß mit den Mitteln des technokratischen Naturmanagements versucht wird, sowohl immer neue Machtmittel und Dientleistungen für das Herrschaftssystem herzustellen als auch die ökologischen Folgen zu kompensieren und für den Verlust der eigenen Karten sozial zu entschädigen. Das hat noch nie funktioniert; es fällt aber so lange nicht auf, wie immer neue Karten durch vergleichsweise geringen Aufwand ins Spiel gebracht werden. Durch Kolonialisierung, durch technologische Durchbrüche (die neue Teile von Umwelt und menschlicher Natur als Karten nutzbar machen), durch Auspressung besonders unterdrückter Regionen und Gruppen. Das Verhältnis zwischen (Karten-)Beschaffungskriminalität und neuen Spielzügen wird aber immer ungünstiger, je komplizierter das Spiel wird. Die Beschaffung wird schwieriger, weil auch der Widerstand derer, denen die Karten hinterher fehlen werden, zunimmt – denn die Aussichten auf Entschädigung aus den Spielergebnissen werden dürftiger.

Technokratisches Naturmanagement ist ein parasitärer Prozeß der Umformung von Natur in einer Weise, daß sie optimal für die Herrschenden und ihre Interessen konsumierbar wird. Das Verhältnis zwischen den Leistungen des Naturmanagements und der dafür notwendigen Vernutzung „einfacher“ Natur und Arbeit entwickelt sich aber nicht linear, sondern exponentiell: immer mehr Aufwand für immer kleinere Steigerungen des Ergebnisses. Dies ist die ökologische Seite der Krise: es ist eben ökologisch teuer, der Natur im Wahn technokratischer Naturbeherrschung Ergebnisse aufzuzwingen, die sehr weit weg von den Wegen liegen, die diese Natur allein gehen würde. Deshalb verändert sich aber auch die Zukunftsplanung von Einzelnen und von Gruppen: die Teilnahme an neuen Stufen des technokratischen Naturmanagements wird weniger attraktiv, ja bedrohlich, wenn abzusehen ist, daß die Entschädigung aus den Ergebnissen unzureichend ausfällt. Das ist die soziale Seite der Krise: es wird immer unsinniger, sich auf den Prozeß einzulassen, seine eigene Umwelt und menschliche Natur in den Hut zu werfen, wenn keine Kaninchen mehr herauskommen.

Die Natur „entmanagen“

Eine Gesellschaft, die die industriell-kapitalistische Unterwerfung von Mensch und Natur beenden will, kann sich daher nicht damit begnügen, einfach die Ziele des technokratischen Naturmanagements auszuwechseln. Es reicht nicht aus, das Ganze so, wie es ist, für „etwas Gutes“ einsetzen zu wollen. Man muß es auseinandernehmen, abrüsten, abwickeln. Man muß die Reichweite der Kombinationen verringern. Man muß die Natur ”entmanagen”: die Umwelt genauso wie die eigene, die menschliche Natur. Und das bedeutet nicht, daß alle den Gürtel enger schnallen und mit weniger zufrieden sind, während die Management-Maschine weiterläuft. Es bedeutet, daß eine Gesellschaft damit zufrieden ist, daß sie nicht alles machen kann. Nicht jedes Ziel aufzwingen. Und um genauer zu sein: daß sie niemandem die Machtmittel läßt, das zu versuchen, während andere dafür den Preis bezahlen.

Christoph Spehr

Literatur:

Clive Ponting: A Green History of the World, New York 1992.

Christoph Spehr: Die Jagd nach Natur, Frankfurt/Main 1994.

Christoph Spehr, Doris Hofer, Wolfgang Schröder: Von der Plüschtier-Ökologie zur subversiven Verantwortung, in: Jürgen Wolters (Hrsg.): Leben und leben lassen, Ökozid-Jahrbuch 10, Gießen 1995.

Aus: Christoph Spehr, ”Die Ökofalle –
Nachhaltigkeit und Krise”, Promedia
Verlag, Wien 1996, 240 S., 34,- DM.


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