Aus DER RABE RALF Oktober/November 2023, Seite 6
Die Zahl der Flüge geht steil nach oben, trotz Waldbränden und Hitze in Feriendomizilen. Warum ist das so?
Während in Südeuropa immer wieder tödliche Waldbrände und Hitzewellen ausgebrochen sind, konnten die Airlines in diesem Sommer wieder Reisende in großer Zahl in beliebte Urlaubsregionen fliegen. Genau mit jenem Transportmittel also, das Umweltorganisationen wegen seiner hohen Kohlendioxidemissionen als „schnellsten Weg, den Planeten zu erhitzen“ bezeichnen. Manchmal halten die Fluglinien sogar daran fest, Touristen in von schweren Waldbränden betroffene Regionen zu transportieren, wie der Billigflieger Ryanair.
Damit ist das Flugzeug in diesem Jahr wieder zum Standard-Reisemittel für den Urlaub aufgestiegen. Während der Corona-Pandemie war der Luftverkehr stark zurückgegangen. Damit verringerten sich auch die Treibhausgasemissionen dieses Industriezweigs. Doch schon im letzten Jahr gingen die Emissionen erneut nach oben. Gegenüber 2021 stiegen sie allein im Inlandsflugverkehr um knapp 40 Prozent, so das Umweltbundesamt. Bei den Passagierzahlen war sogar ein Zuwachs um 117 Prozent zu verzeichnen. Insgesamt, also einschließlich der internationalen Flüge, wurden von Januar bis November 2022 rund 153 Millionen Fluggäste gezählt.
Vor-Corona-Niveau wieder erreicht
Obwohl die Preise für Flugreisen in diesem Jahr erneut anstiegen – um 25 Prozent bei Auslandsverbindungen und um zehn Prozent bei Pauschalreisen –, zeigt die Kurve im Luftverkehr weiter nach oben. Anfang Juli verzeichnete das Luftfahrt-Tracking-Unternehmen Flightradar 24 mehr als 134.000 kommerzielle Flüge in Deutschland. Das sind so viele wie noch nie seit dem Start des Trackingdienstes im Jahr 2006.
Nachdem das Flug-Geschäft in der Coronazeit fast zum Erliegen gekommen war, musste die Lufthansa neun Milliarden Euro an staatlichen Krediten in Anspruch nehmen. Durch das Wiederhochfahren des Flugverkehrs konnte das Unternehmen inzwischen alle Kredite zurückzahlen und im letzten Jahr sogar wieder Gewinne erwirtschaften. Man geht nun von einem Viertel mehr Umsatz pro Sitz im Flugzeug aus. Auch andere Fluglinien sprechen von einem Rekordsommer.
Daten des internationalen Dachverbands der Fluggesellschaften deuten darauf hin, dass die Branche kurz vor einer vollständigen Erholung steht. Der weltweite Luftverkehr liegt inzwischen wieder bei 96 Prozent des Vor-Corona-Niveaus.
Fliegen ist besonders klimaschädlich. Neben den CO₂-Emissionen verdoppeln Stickoxide und Wasserdampf die Auswirkungen aufs Klima. Global gesehen bedeutet es, dass die zwei Prozent der Kohlendioxidemissionen, die auf das Fliegen entfallen, den dreifachen Effekt haben könnten, was mehr als den Emissionen Russlands entspricht. Zwar reden die Luftfahrtunternehmen ständig davon, ihre Emissionen zu reduzieren. Aber das sind bisher nur leere Versprechen. In der Vergangenheit haben die Fluggesellschaften, wie eine Untersuchung von Nichtregierungsorganisationen zeigt, fast alle ihre Umweltziele verfehlt.
Politisch gewollte Bevorzugung des Fliegens
Die Gründe, warum viele Menschen ihr Reiseverhalten nach der Pandemie wieder geändert haben, sind vielfältig. Ein entscheidender Grund ist, dass Reisen mit dem Flugzeug oft deutlich billiger ist, als mit der Bahn zu fahren. Im Durchschnitt sind die Preise für eine Bahnfahrt in Europa laut einer Greenpeace-Analyse doppelt so hoch, wie wenn man die gleiche Strecke mit dem Flugzeug zurücklegt. Um von London nach Barcelona zu kommen, müssen die Passagiere sogar bis zu 30-mal mehr ausgeben, wenn sie den Zug statt das Flugzeug nehmen: 384 Euro gegenüber 12,99 Euro. Dabei ist Fliegen bis zu 80-mal klimaschädlicher als Bahnfahren.
Die niedrigeren Kosten bei Flugverbindungen haben nicht nur mit dem unfairen und aggressiven Preiskampf der Billigflieger wie Ryanair oder Easyjet zu tun, sondern auch mit einer strukturellen Schieflage im Verkehrswesen, die politisch gewollt ist. So bezahlen die Luftfahrtunternehmen in Europa keine Steuern auf Kerosin und nur wenig auf Tickets. Mit weiteren Milliarden Euro greift der deutsche Staat dem Flugzeugbau und der Airport-Wirtschaft kräftig unter die Arme. Das hat die Branche immer mehr wachsen lassen.
Durch die Vorzugsbehandlung spart der Flugverkehr viel Geld – allein für Treibstoff und Tickets sind es jährlich in Deutschland zwölf Milliarden Euro an Steuergeldern. Gleichzeitig wird die Bahn vernachlässigt, sodass internationale Verbindungen oft nicht mit dem Flugzeug konkurrieren können.
Die PR-Maschine der Airlines
Ein weiterer Grund ist die übermäßige Eigenwerbung der Industrie. Online-Plattformen, Zeitschriften und Zeitungen sind voll mit Werbung für Flugreisen. Großformatige Werbespots für Fluggesellschaften laufen selbst in Bahnhöfen, wobei man sich fragen kann, warum die Bahn überhaupt Werbung ihrer Konkurrenten zulässt. Und wer den Fernseher einschaltet, um Fußball oder ein anderes Sportereignis zu sehen, wird tagtäglich mit den Sponsoring-Botschaften von Fluggesellschaften wie Easyjet, Emirates oder Lufthansa konfrontiert.
Das führt zu einer in sich widersprüchlichen Botschaft. Während uns von der Wissenschaft gesagt wird, dass wir neben der Energieversorgung auch unsere Lebensweise ändern müssen, um die Klimakrise zu bewältigen, verkündet die Werbung auf allen Kanälen, dass wir weitermachen sollen wie bisher.
Eine Untersuchung des britischen New Weather Institute zeigt, dass zusätzliche Flüge aufgrund von Werbung bis zu 34 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr verursachen könnten. Es gibt bereits Forderungen nach einem Verbot von Flugreise-Werbung, ähnlich wie bei den gesundheitsschädlichen Zigaretten. Damit könne man die ständigen Aufforderungen zum Fliegen im öffentlichen Raum vermeiden, heißt es. Das sei ein einfacher Weg, um eine überfällige Verhaltensänderung zu erleichtern. Die Lockdown-Zeit habe zudem gezeigt, dass Menschen im Notfall bereit sind, andere Verkehrsmittel stärker zu nutzen. Dafür braucht es aber breite politische und gesellschaftliche Unterstützung und den Ausbau von guten Alternativen.
Weniger Piloten, mehr Lokführer
Das gilt auch für die Angestellten in der Luftfahrtindustrie. In der Pandemie haben die Schweizer Fluggesellschaften und Eisenbahnen erwogen, Piloten zu Lokführern umzuschulen. Daran könnte man ansetzen, um die Beschäftigten in der Verkehrswende mitzunehmen. Notwendig sind außerdem starke Investitionen in die Bahn sowie ein Abbau der enormen Subventionen für die Luftfahrt, die das Fliegen künstlich billig machen.
David Goeßmann
Eine erste Fassung dieses Beitrags mit Quellenangaben ist im Online-Magazin Telepolis erschienen.