Wi(e)der die Wegwerfmentalität

Aus DER RABE RALF Februar/März 2021, Seite 6

Der Umgang mit Gebäuden und Baustoffen richtet großen Schaden für Klima und Umwelt an

Das Haus an der Berliner/Ecke Maximilianstraße in Pankow wurde im Dezember abgerissen. Auch das Nachbargrundstück davor soll bebaut werden. (Foto: Fabio Micheel)

„Wir reißen ab und schaffen Platz für Neues!“ Mit dieser Aufschrift fährt in Berlin ein Kleintransporter durch die Straßen, die Firma verwendet als eindrucksvolles Logo einen riesengroßen Zangenbagger. Genau solche Geräte waren im vergangenen Dezember an einem 120 Jahre alten Eckhaus nahe dem U-Bahnhof Vinetastraße in Pankow im Einsatz. Das schockierte mich sehr, ging ich doch in dem Haus jahrelang ein und aus und meine Frau arbeitete dort als Krankenschwester.

„Umbau zu teuer“

Das 1895 errichtete Gebäude war bis 1990 das gut sanierte Pankower „Stadtambulatorium“ – damals sogar noch erweitert um ein umfangreiches Laborgebäude. Nach 1990 ließ man das Ärztehaus verfallen, ob planmäßig oder zufällig, wage ich nicht zu sagen. Zumindest aber hatte die Feindlichkeit der neuen deutschen Politik gegen Polikliniken ihren Anteil am Verfall. Das Haus enthielt auch etwa 20 Wohnungen mit einem Wiederbeschaffungswert von ein bis zwei Millionen Mark. Dieser Wert wurde nun vernichtet, die gebundene Energie verschleudert und zusätzlich CO₂ erzeugt.

Wie man hört, hatte ein örtliches Sozialwirtschaftsunternehmen das landeseigene Gebäude erworben und will dort nun einen sechsgeschossigen Neubau für Menschen mit Assistenzbedarf errichten – barrierefrei und mit grünem Hof sowie einem Gründach. Sicher eine gute Sache, aber wäre nicht auch ein Umbau möglich gewesen, statt für geplante elf Millionen Euro abzureißen und neu zu bauen? Der Umbau sei auch die erste Wahl gewesen, heißt es beim Bauherrn, aber das Planungsrecht und die Finanzen hätten das nicht zugelassen.

Kein wirkliches Recycling

Jeder Abriss frisst enorme Mengen an Energie, der Schutt muss ebenfalls energieaufwändig aufgearbeitet werden. Beton und Ziegel werden zerkleinert, sind aber nur für minderwertige Maßnahmen wie Straßenbau einsetzbar. Aluminium, Plastik, Gipswände und anderes sind verloren, Stahl lässt sich nur mit hohem Energieaufwand wieder einschmelzen, Holz kann lediglich verbrannt werden. Alles in allem ist ein echtes Recycling gar nicht möglich.

Erwarten Sie hier keine vergleichende ökonomische Rechnung von mir, ob Neubau oder Rekonstruktion billiger sind. Es geht mir um die gebundene Energie und das CO₂ in Holzbalken, Ziegeln, Wandputz, Fenstern mit Glas, Beton und Stahl. Allein die Herstellung von einer Tonne Stahl erzeugt etwa 1,8 Tonnen CO₂, ähnlich sieht es bei Beton aus, dem anderen Hauptbaustoff für Neubauten. Genauere Zahlen gibt es beim Umweltbundesamt in Dessau oder bei Frank Geraets und Axel Schwipps von der „Initiative Stadt für Menschen“, die Vergleiche zwischen Klimakosten und Klimanutzen angestellt hat. Was immer vergessen wird, ist die Beschaffung der Neumaterialien (siehe Seite 3). Sie werden von Jahr zu Jahr teurer, fressen bei der Herstellung immer mehr Energie und kommen von immer weiter her. Bei der Energie- und Klimabilanz hat die Modernisierung von Altbauten eindeutig Vorteile, wenn auch die Vorbereitung und Bauzeit bestimmt länger ausfallen.

Architekten mit leisen Zweifeln

Der Bund Deutscher Architekten (BDA) hat 2019 in Halle „Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land“ erarbeitet. Ein Abschnitt befasst sich auch mit der „Achtung des Bestands“: kein leichtfertiger Abriss, Beachtung der „grauen“ (gebundenen) Energie im Material sowie aus Transport und Konstruktion, Klimagerechtigkeit, Wohlbefinden der Nutzer. Zu ergänzen wären zum Beispiel die Nischen und Spalten für Vögel und Insekten sowie der übliche Grünbestand bei Altbauten.

Vor zehn Jahren wurde schon einmal eine Selbstverpflichtung von Architekten und Ingenieuren formuliert, das „Klimamanifest Vernunft für die Welt“. Leider hat sich bis jetzt nicht viel getan. Gehen Sie durch die Stadt und achten Sie auf die Baukräne. Mit Sicherheit ging dem Bauen dort ein Abriss voraus, wie etwa in Pankow in der Mühlen-, Pestalozzi- und Waldstraße oder in Mitte Unter den Linden und in der Breiten Straße, um nur ein paar Beispiele auf meinen Wegen zu nennen.

Nach Abriss folgt mehr Versiegelung

Ein weiterer Faktor wurde auch in den „Positionen“ zu wenig beleuchtet: Flächenverbrauch und Versiegelung. Bei fast jedem Abriss und Neubau wird die Überbauung vergrößert, sicherlich wird es auch beim geplanten Neubau am U-Bahnhof Vinetastraße so sein. Jede zusätzliche Versiegelung von Flächen verringert auch die Versickerung von Regenwasser und verstärkt die Austrocknung der Stadt. Ebenso wird die Vegetation verringert, die neben ästhetischen auch ökologische Zwecke wie Befeuchtung und Durchlüftung der Stadt erfüllt.

Vielleicht kennen Sie Architekten, Ingenieure oder Studenten, mit denen Sie über diese Missstände diskutieren können. Oder Sie wenden sich direkt an Architektenvereinigungen, Hochschulen oder die kommunalen Genehmigungsbehörden, um auf den klimapolitischen Wahnsinn aufmerksam zu machen und ein Umdenken zu fordern. Wer nichts tut, hat schon verloren. Wer etwas tut, kann vielleicht die Welt retten.

Wolfgang Heger 

Weitere Informationen: www.bda-bund.de/das-haus 

Siehe auch: Graue Energie
Siehe auch: Lauter Ruf nach der Bauwende

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