Aus DER RABE RALF September 1997
Wer kennt sie nicht, die Plage mit den Kids, die ökologisch frisch indoktriniert aus der Schule kommen und die bewährte häusliche Haushaltsführung aufmischen? Während das Auto meist außen vor bleibt – schließlich braucht man die Kiste selber, um sich zu diversen Freizeitunternehmungen fahren zu lassen -, ist das bevorzugte Objekt jugendlicher Öko-Kritik der Müll. Wird er auch sorgfältig genug getrennt? Werden die Joghurtdeckel sauber gespült? Könnten wir die Dosen nicht zur Weißblech-Annahmestelle fahren? Warum fahren wir nicht alle zwei Tage mit leeren Flaschen zum Bauern und holen Milch?
Das Mißbehagen darüber, daß sich die schulische Beschäftigung mit Ökologie kaum in etwas anderem niederschlägt als in der Anwerbung für einen gewissen totalitären Zugriff auf die Haushalte, ist Alltag.
Weniger bekannt ist, daß diese Art des Zugriffs eine längere Geschichte hat, als gemeinhin angenommen wird. Wer die DDR kennengelernt hat, erinnert sich bestimmt noch an die Sekundärrohstoff-Annahmestellen des VEB SERO, an Papiersammelaktionen an Schulen und altstoffsuchend-haustürklingelnde Kinder.
Auf die Spitze getrieben wurde die Sammelei aber im Dritten Reich, vor allem während des Krieges. Das Sammeln und Trennen von Müll war ein umweltpolitisches Exerzierfeld der Nazis. In einigen Gauen wurde systematisch Jagd auf verwertbare Abfälle gemacht, und die Schulen waren eine Schaltstelle dieser Mülljagd. Papier, Korken, Tuben, Eisenteile, sogar Knochen wurden auf den Schulhöfen in sogenannten Schulvorsammelstellen getrennt. „Dauernd hinterherjagen“ sollten die Schüler den Altstoffen, nach dem Willen des Reichskommissars für Altmaterialerfassung, Hans Heck. 1944 protestierte Regierungspräsident von Stade energisch dagegen, daß von Schülern sogar kriegswirtschaftlich bedeutsame Gebrauchsgegenstände als Altmaterial zwangseingesammelt wurden, um im Punktesystem des Sammelwettbewerbs zu brillieren.
Ökologie muß nichts Tolles sein. Die Beschäftigung mit Ökologie und die Durchsetzung praktischen Umweltschutzes sind nicht das Privileg von sozialen Bewegungen, die eine emanzipatorische Politik anstreben. Die Existenz ökofaschistischer Theorien und Organisationen ist kein Ausrutscher, ist weder ein oberflächliches taktisches Manöver noch das Aufgreifen an sich richtiger Probleme in falschem Zusammenhang. Es gibt eine in sich logische faschistische Ökologie. Der Nationalsozialismus in Deutschland, der italienische und der japanische Faschismus haben sie angewandt. Und manches davon wurde in die Nachkriegsentwicklung integriert.
Die politische Ökologie der Nachkriegszeit – der Ära des Kalten Krieges und der weltweiten „Entwicklung“ – muß verstanden werden als ein Modell, die kapitalistische Ökologie weiter voranzutreiben, aber die Widersprüche der faschistischen Ökologie zu überwinden. 1980, also noch zu Zeiten der sozialliberalen Regierung Schmidt, gab das Umweltbundesamt eine Studie zur Abfallwirtschaft im Dritten Reich in Auftrag. Tatsächlich hatte die ökologische Kriegswirtschaft der 40er Jahre hier Ansätze eines Öko-Sparens verwirklicht, die auch in die Umweltpolitik der 80er und 90er Jahre ganz gut paßten.
Von der neueren Umweltforschung ist immer wieder mit einer gewissen Peinlichkeit festgestellt worden, daß das Dritte Reich eine deutlich „ökologischere“ Politik betrieben hatte als die Weimarer Republik und auch die meisten anderen Industriestaaten der 30er Jahre. Das Reichsnaturschutzgesetz von 1935, die Naturschutzverordnung von 1936, die sprunghaft ansteigende Einrichtung landschaftlicher Schutzgebiete und Naturdenkmälern: all dies veranlaßte den Naturschutzhistoriker Klose 1957, von den Jahren 1935-1939 als der „hohen Zeit des deutschen Naturschutzes“ zu sprechen. Die nationalsozialistische Umweltpolitik endete durchaus nicht mit dem Krieg: 1942 wurde die „Reichsanstalt für Wasser- und Luftgüte“ eingerichtet. Die preußische Landesanstalt für Wasserhygiene wurde angewiesen, versuchsweise regionale Umweltkataster zu erstellen: Aufstellungen über die regionale Schadstoffbelastung der Luft, die als Grundlage für die Genehmigungsverfahren der Gewerbeaufsichtsämter dienen sollten. Der Bau neuer Industrieanlagen sollte davon abhängig gemacht werden, was der regionalen Luftqualität im Altreich noch zumutbar war.
Selbstverständlich stießen diese umweltschützerischen Bestrebungen auf den Widerstand der Industrie und der sie vertretenden Behörden und NSDAP-Gliederungen. Die Versöhnung von Natur und Fortschritt drückte sich dann beispielsweise darin aus, daß im Zuge des Reichsautobahnbaus eigens ein „Reichslandschaftsanwalt der Reichsautobahnen“ angestellt wurde – für ökologische Korrekturen im Sinne eines „naturverbundenen“ Autobahnbaus. Die industrielle Modernisierung Deutschlands und die stärkere Berücksichtigung ökologischer Aspekte wurden als Einheit gesehen. Die nationalsozialistische Ära legte auch den Grundstein für den modernen Massentourismus. Hitler träumte von Autobahnen an die Krim, die als Freizeitparadies für die deutsche Arbeiterschaft ausgebaut werden sollte. Die organisierte Freizeitpolitik über die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) schuf für breitere Schichten der lohnabhängigen Bevölkerung erstmals die Möglichkeit zu Auslandsurlauben. Sie organisierte auch Wochenendausflüge in Grünerholungsgebiete. All dies diente dazu, „das Volk vor den Schädigungen zu bewahren, wie sie eine Steigerung des Arbeitstempos verursacht“ – so 1938 eine zeitgenössische Dissertation über die KdF.
Dies war die Innenseite der faschistischen Ökologie. Umweltschutz wurde als gesellschaftliche Integrationsleistung betrieben, als Stärkung der Volksgenossenschaft sowohl durch erweiterten Konsum als auch durch verbesserte ökologische Lebensqualität. Naturschutz wurde angewandt zur besseren Reproduktion der Arbeitskraft der umworbenen männlichen, arischen Kernbelegschaften in der Industrie. Hierin war die faschistische Ökologie wesentlich konsequenter als die bürgerliche Ära der Weimarer Zeit. Freizeitpolitik, Landschaftsschutz und Maßnahmen zur Luft- und Wasserhygiene sollten das Leben des weißen Industrieproletariats in den Metropolen erträglicher machen, um es nicht zu „vernutzen“.
Dafür waren andere da. Die Außenseite der faschistischen Ökologie war die ökologische Fundierung und Planung der Vernichtungspolitik.
Es war ein Gemeinplatz der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung schon vor 1933, daß das größte ökologische Problem Deutschlands in seiner prekären Rohstofflage bestehe und daß die Versorgung mit Rohstoffen, billigen Nahrungsmitteln und billiger Arbeitskraft in der Durchdringung der ost- und südosteuropäischen Volkswirtschaften zu suchen sei. Zum einen ging es um die Ausbeutung der Waldbestände, der Öl- und Erzvorkommen im Osten sowie der Ukraine als „Kornkammer“ der deutschen Expansion. Zum anderen ging es um eine Grüne Revolution der südosteuropäischen Bauernwirtschaften: die dort noch stark vorhandenen Selbstversorgungsstrukturen und kleinbäuerlichen Produktionsformen sollten rationalisiert werden, und zwar in landwirtschaftliche Monokulturen. Durch Zentralisierung, mit Maschinen und Chemie sollte eine höhere agrarische Produktion mit weniger Arbeitskraft erzielt werden – um sie nach Deutschland zu exportieren.
In den Projekten für einen deutsch beherrschten Ostraum wurden von vornherein jede Menge überflüssige Esser diagnostiziert, für die es ernährungsmäßig und ökologisch nicht mehr reichen würde. Bei der gewünschten Effektivierung der Produktion nebst Abschöpfung ihrer Produkte von außen gab es auf den Reißbrettern große Teile der Bevölkerung, die nicht mehr gebraucht würden und deren Konsumbedürfnisse nur das landwirtschaftliche Mehrprodukt schmälern konnten. Die Massenvernichtung im Osten war von Anfang an die Konsequenz der ersehnten ökologischen „Planungsfreiheit“. Die Rechnung für den Lebensstandard der Deutschen sollte von den „Fremdvölkern“ bezahlt werden.
Der traditionelle Naturschutz sprang schwärmerisch auf diesen Zug auf. „Durch die Ellenbogenfreiheit nach dem gesamten Osten hat unsere so knappe Ernährungsgrundlage ein ganz anderes Aussehen gewonnen. Muß dadurch in Streitfällen nicht oft die Waagschale zugunsten des Naturschutzes sinken, wo er vorher noch zu leicht befunden wurde?“, schrieb der Naturschützer Münker vom Reichsverband für Deutsche Jugendherbergen. Walter Schönichen, eine graue Eminenz des Naturschutzes vor, während und nach dem Dritten Reich, schrieb 1943, durch die Eroberungen werde nach dem Krieg „das bisherige Tempo der Meliorisierung von Urland gemäßigt werden können, und das Schlagwort von der unbedingten Nutzung des letzten Quadratmeters wird seine zwingende Kraft im wesentlichen verloren haben. Wir werden aufatmen.“
Die nationalsozialistischen Planer bemühten sich sorgfältig, Katastrophen nur für Menschen, nicht aber für die Natur zu planen. Die sogenannten „Landschaftsregeln“ für die „eingegliederten Ostgebiete“ vom Dezember 1942 zielten darauf ab, den bloßen Raubbau in eine langfristig nachhaltige Nutzung zu überführen. Umfangreiche Aufforstungen, Heckenpflanzungen zum Schutz vor Bodenerosion, Abwässer- und Emissionskontrollen, Ortsumgehungen und städtische Naherholungsgebiete wurden projektiert. Die noch verbliebenen Reste nicht-kultivierten Waldes sollten vor Abholzung geschützt werden. Es dürfe „keinesfalls bei der Erschließung der Urwälder (im Böhmerwald und in der Slowakei) der wirtschaftliche Fehler wiederholt werden, den die Menschen im Bergbau begangen haben, wo ja der größte Teil des Kohlenvorkommens schon in unwirtschaftlichen Feuerungen verbrannt war, bis man darauf kam, welche ungeheure Menge wertvoller Stoffe darin enthalten sind, die ja nun unwiderbringlich verpufft waren“, schrieb der Wiener Eduard Heimann in „Wald und Holz“, dem forstwissenschaftlichen Magazin des von Deutschland besetzten und verwalteten „Generalgouvernements“ im östlichen Teil Polens.
Im weitestmöglichen Rahmen des ökologisch Vertretbaren sollte jeder produzierte Überschuß ins „Altreich“ transferiert werden. Die landwirtschaftlichen Überschußgebiete sollten durch militärische Sperrgürtel gegen die Zuwanderung derer abgeriegelt werden, die in den „Zuschußgebieten“ dem Hunger überlassen wurden. Solche Gebiete ohne ausreichende eigene Ernährungsgrundlage waren die großen Städte im Osten und die russischen „Waldzonen“. Die Parallele zur Ideologie der Grünhelm-Einsätze ist augenfällig. „Viele zehn Millionen Menschen werden in diesen Gebieten überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen. Versuche, die Bevölkerung vor dem Hungertode dadurch zu retten, daß man aus der Schwarzerdzone (d.h. der Ukraine) Überschüsse heranzieht, können nur auf Kosten der Versorgung Europas gehen“ und seien daher abzulehnen, hieß es in den „Wirtschaftspolitischen Richtlinien“ für die Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft.
Die Planung ging der Vertreibung voraus, und die Vertreibung der Vernichtung. Nachdem die jüdische Bevölkerung der eroberten osteuropäischen Gebiete in großen Ghettos zusammengetrieben war, die Produktion also von „überflüssigen Essern“ und störenden Elementen gesäubert wurde, stellte sich das Problem der Ernährung der Überflüssigen ganz praktisch. Schon ein halbes Jahr vor der Wannsee-Konferenz, die im Januar 1942 die „Endlösung“ durch die Vernichtungslager beschloß, schrieb der SS-Sturmbannführer Höppner über das jüdische Ghetto von Lódz, daß die Ernährung des Ghettos bei der herrschenden Versorgungslage nicht mehr lange gewährleistet bleiben könne. Es stelle sich die Frage, ob die direkte Tötung der BewohnerInnen nicht eine humane Alternative zum langsamen Hungertod sei.
Eberhard Jungfer hat darauf hingewiesen, daß das ideologische Feindbild des „Juden“ überwiegend ein Zerrbild nach dem Vorbild der osteuropäischen jüdischen Zuwanderer war – einer Bevölkerungsgruppe, die in den 20er Jahren bereits in den Zustand der Überflüssigkeit gestoßen worden war. In der Nazi-Propaganda war das „Jüdische“ das Gegenbild zu einer Bevölkerung, die sich der indistriellen Modernisierung anpaßte und damit eine Position der strukturellen Überordnung über abhängige Volkswirtschaften und Bevölkerungen anstrebte. Die Modernisierten waren fleißig, ordentlich, sauber; sie waren abgeschnitten von jeglichen vorindustriellen kulturellen Wurzeln und Sozialstrukturen. Sie lebten in Kleinfamilien, von einem ordentlichen männlichen Lohneinkommen, mit einer gesunden weiblichen Kraft der Hausorganisation. Sie bezogen sich positiv auf den Staat und leisteten ihrer Organisation, Erfassung und Verwaltung keinen Widerstand, da sie „nichts zu verbergen“ hatten – und darauf hoffen konnten, daß diese Verwaltung insgesamt in ihrem Sinne geschehen würde. „Jüdisch“ war alles, was unordentlich und staatsfern lebte; waren Menschen die sich an kulturellen Verhaltensweisen von Subkulturen orientierten, sich entzogen, nicht sparsam, nicht transparent waren. Menschen, deren Leistungsbezug sich nicht vorwiegend auf die formelle Lohnarbeit richtete, sondern die das soziale „Organisieren“ und das Leben im informellen Sektor gewohnt waren.
Diese Gegenüberstellung trennte das, was staatlich anerkannt leben durfte, von dem, was der Vernichtung anheimgestellt wurde: das „goldene Haar“ Margarethes vom „aschenen Haar“ Sulamiths, wie es in Paul Celans „Todesfuge“ heißt. Die kulturelle Kampfposition des Faschismus war äußerste Arroganz und Zynismus, passend zu der angestrebten Zweiteilung der Volkswirtschaften im deutsch beherrschten Großraum. Es ist die Position eines aggressiven und überheblichen Fordismus, der noch nicht gelernt hat, sich zusammenzunehmen.
Fordismus ist die historische Weiterentwicklung des Frühkapitalismus: Übergang zur angebotsorientierten industriellen Massenproduktion; Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Intensivierung (Stichwort Fließband); ökonomische und politische Integration der Lohnarbeiter in den Staat („Wohlfahrtsstaat“); große Konsumgüterindustrie verdrängt die kleine Warenproduktion; mechanisierte und chemisierte Agrarproduktion auf großflächigem Grundbesitz verdrängt die kleinbäuerliche Produktion mit ihrem Selbstversorger-Anteil. Diese „volkswirtschaftliche“ Beschreibung enthält jedoch nur die halbe Wahrheit.
Als soziales System ist der Fordismus, der sich zwischen den 30er und 50er Jahren voll durchgesetzt hat, ein Organisationsprinzip von nationaler und internationaler Herrschaft und Abhängigkeit – eine Weiterentwicklung im Sinne der Grundprinzipien des Kapitalismus, wie sie im letzten Teil dargelegt wurden. Mit dem Fordismus tritt die Bevölkerungsmehrheit der hochindustrialisierten Großmächte zur Bevölkerung der abhängigen Nationen und zu den Randgruppen im eigenen Land in ein Verhältnis, wie es zuvor zwischen der Industrie und dem Rest herrschte. Verstärkte Integration nach innen und verstärkte Ausbeutung nach außen ergänzen sich gegenseitig. Fordismus heißt das ganze, weil seine wesentlichen Elemente erstmals in der US-amerikanischen Automobilindustrie und speziell in den Ford-Werken angewandt wurden – nämlich die Verbindung von Massenfertigung, Fließbandverfahren, Hochlohnpolitik und sozialer Befriedung. Hätte der deutsche Faschismus langfristig Erfolg gehabt, würden wir vielleicht von VW-ismus sprechen, der der deutsche Volkswagenbau hatte in den 40er Jahren eine ähnliche Leitbildfunktion.
Der nationalsozialistische Wirtschaftstheoretiker Hans Kehrl schrieb: „Im Großraum (das heißt im deutsch beherrschten Gebiet) können deutsche Arbeiter in Zukunft nur für hochwertige und bestbezahlte Arbeit, die den höchsten Lebensstandard ermöglicht, eingesetzt werden; Produkte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, werden wir in immer zunehmendem Maße den Randvölkern überlassen müssen … Aus dieser Notwendigkeit ergibt sich auch die Notwendigkeit einer steigenden technischen Rationalisierung und daraus folgt die Möglichkeit, höhere Löhne zu bezahlen.“ Die faschistische Ökologie ist eine spezifische Methode, dieses Konzept materiell abzusichern, und zwar durch folgende vier Grundprinzipien:
- Die hochwertige und bestbezahlte Arbeit ist die „saubere“ Arbeit, die durch eine sozial integrative Umweltschutzpolitik gesichert und bei der Stange gehalten wird: durch umweltpolitische Kontrolle der industriellen Gesundheitsgefährdungen, durch Ausgleich in Form organisierter „Naturzufuhr“ über Freizeit- und Naherholungspolitik.
- Diese Arbeit kann nur hochproduktiv und hochbezahlt sein, weil sie sich in unbeschränkter Weise der Rohstoffe, der Naturressourcen und der vorherigen Arbeitsleistungen derer bedienen kann, die die „schmutzige“ Arbeit machen: Randgruppen und „Randvölker“.
- Dieses Verhältnis von Innen und Außen wird durch direkte militärische Gewalt hergestellt und aufrechterhalten, durch Angriffskrieg und militärische Besetzung.
- Die Nutzung und Verteilung von natürlichen Ressourcen und Arbeit im Großraum wird mit äußerster Gewalt effektiviert und optimiert. Das beinhaltet einerseits die Vernichtung „überflüssiger“ Menschen (direkt oder durch Arbeit), andererseits Formen von ökologischer Nachhaltigkeit im Sinne eines Umweltsparens: das Sammeln und Trennen von Müll; die „vernünftige“ Behandlung wertvoller Naturressourcen einschließlich Wald-, Landschafts- und Artenschutz; die Schonung der „wertvollen“ Bevölkerungsteile durch staatliche Gesundheitspolitik; das Verbot für die „Randvölker“, eigene Industrien aufzubauen und Naturressourcen für sich zu verpulvern.
Eine „nachhaltige“ Umweltpolitik paßte also durchaus zur faschistischen Ökologie. Auch die Nazis machten sich Gedanken darüber, daß Fleischkonsum ökologisch kostspieliger ist als Getreidekonsum – und schlachteten in den besetzten Gebieten die Schweine und Hühner, um sie auf deutsche Tische zu bringen und die „Randvölker“ auf einen „nachhaltigen Konsum“ zu setzen. Das ökologische Sparen für den Führer war keineswegs borniert. Es kannte sehr wohl Formen der Naturnutzung jenseits des schnellstmöglichen Raubbaus und auch das, was heutzutage als umweltästhetische Nutzung oder als umweltpolitische Qualitätsziele bezeichnet wird – den Wald zur Erbauung, oder Görings Versuche zur Rückzüchtung des ausgerottenen Wisents. Auch für die „angepaßte“ und weniger verschwenderische wirtschaftliche Erschließung der „Randvölker“ finden sich Vordenker. 1942 propagierte der Mitarbeiter des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Lenschow, die „Eingeborenenwirtschaft“ als die langfristig vorteilhaftere Wirtschaftsform für den kolonialen „Ergänzungsraum“ Afrika. Sie habe „den großen Vorteil, daß sie die schwarze Arbeitskraft in der Nähe ihrer Wohnorte und innerhalb ihrer Sippenverbände verwertet. Der Einsatz von Kolonisatoren ist wesentlich kleiner als in Farmerkolonien. … (Das Kapital rentiert sich) auf der Grundlage der Eingeborenenwirtschaft eindeutig besser als in einer Farmerkolonie. Die Eingeborenen können stärker geschröpft werden.“
Das System der faschistischen Ökologie, als Unterstützung für eine fordistische Modernisierung in einer besonders grausamen Variante, funktionierte bis Stalingrad. Und wenn ökofaschistische Theoretiker behaupten, die faschistische Variante hätte die heutige Dimension ökologischer Krisenphänomene – Ozonloch, Treibhauseffekt, Waldsterben, Bodenzerstörung, Überfischung usw. – nicht oder nicht so schnell erreicht, dann haben sie wohl in diesem Punkt recht. Die faschistische Ökologie trieb die Inwertsetzung und Vernutzung von Natur umfassend voran, aber sie tat das durchaus nachhaltig und sparsam. Sie vergeudete nach Möglichkeit keine Natur und verwertete alles – den Müll wie die Menschen, die Lebenden wie die Toten.
Das faschistische Modell scheiterte nicht an der Natur. Es scheiterte am Widerstand von Menschen. Der Faschismus war der historisch weitestgehende Versuch, das Selbstbestimmungsrecht, das Menschenrecht und das blanke Überlebensrecht der Menschen außerhalb der hochindustrialisierten Metropolen zu liquidieren – wie auch der „Überflüssigen“ und der Kritiker im eigenen Land -, und er wurde nicht fertig mit dem Widerstand, den dieser äußerste Zynismus letztlich provozieren mußte. Für die Ausgegrenzten hatte er außer Vernichtung oder totaler Unfreiheit nichts zu bieten. Der Widerstandswille der Menschen in den überfallenen Ländern, vor allem in der Sowjetunion, die Partisanenkriege in Ost- und Südosteuropa, die unzureichende Kollaboration im Westen und schließlich Sabotage, Kriegsmüdigkeit und Widerstand im Altreich setzten dem deutschen Faschismus die Grenze.
Die faschistische Variante, die Grundprinzipien der kapitalistischen Entwicklung durchzusetzen und gleichzeitig durch eine Ökologie der Sparsamkeit haltbar zu machen, war ökonomisch und ökologisch sehr effizient. Sie vergeudete nichts. Aber ihre schreckliche Effizienz war gleichzeitig der Grund, daß der Faschismus machtpolitisch ineffektiv blieb. Die mit ihm konkurrierenden Ordnungsvarianten, eine fordistische Modernisierung durchzusetzen – das amerikanische und das russische Modell – setzen sich durch, weil es ihnen möglich war, eine breite und auch langanhaltende soziale Mobilisierung für ihre Ziele zu erzeugen. An manchen Punkten hat dies den Charakter einer höheren Raffinesse. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß der Widerstand gegen den Faschismus der kapitalistischen Entwicklung erstmals eine Grenze zog, die nicht überschritten werden konnte.
Christoph Spehr
Literatur:
Götz Aly, Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung, Frankfurt/M. 1993.
Gert Gröning, Joachim Wolschke-Bulmahn: Die Liebe zur Landschaft, 3 Bde., München 1986 f.
Friedrich Huchting: Abfallwirtschaft im Dritten Reich, in: Technikgeschichte Bd. 48, Nr. 3, 1981.
Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 10: Modelle für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herrschaft im Großraum. Berlin 1991.
Die Durchdringung des Ostens in Rohstoff- und Landwirtschaft. In: 1999, Heft 4/1987.
Leserbrief
Die Ökofalle fängt den Jäger
Über die verschiedenen Strategien in der Ökobewegung kann und muß man sich streiten (Teil 1-4, März-Juli/August 97). Über eine Sache aber doch nicht – ”faschistische Ökologie” (Teil 5, September 97). Der dort abgedruckte Auszug aus Christoph Spehrs Buch ”Die Ökofalle” (Promedia, Wien 1996) verdeutlicht, wie der Autor sich selbst Fallen stellt.
Die ”Ökofalle” funktioniert für Christoph Spehr nach dem Prinzip: Was ökologisch ist, muß auch sozial emanzipatorisch sein. (”Die Ökofalle”, S. 130). Zumindest im Fall von Spehr und all jenen, für die der Mensch kein Teil der (bewahrenswerten) Natur ist, funktioniert sie aber auch nach dem Prinzip: Was menschenfeindlich ist, kann ökologisch sein. Denn im Teil 5 behauptet Spehr, daß die nationalsozialistische Politik ökologischer war, als die der Weimarer Republik! Wieso?!
Industriesoziologen beschreiben die ökologische Situation im Dritten Reich so:
Staubniederschlag 1933/1937: Essen 1,2/1,4; Dortmund 1,0/1,3; Berlin-Mitte 0,7/0,9. ”In unmittelbarer Nähe von Betrieben lagen die Werte bedeutend höher; Messungen in 1000 Meter Entfernung von Kraftwerken ergaben einen monatlichen Flugaschefall von bis zu 15,3 kg auf 100 m², etwa 30mal so viel wie in ländlichen Gebieten. Zum Vergleich: die heutigen Durchschnittswerte (1988) liegen zwischen 0,36 und 0,51 kg…” Die preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, die laut Spehr angeblich ökologische Pioniertaten vollbracht hat, erklärte zu eingeforderten Ökologiemaßnahmen: ”Die Industrie, die im Zuge des Aufbauwerkes des nationalsozialistischen Staates gegenwärtig in einem Auf- und Umbau begriffen ist, würde durch Maßnahmen, die die Grenzen des wirtschaftlich Tragbaren überschreiten, so behindert werden, daß sie ihren Pflichten gegenüber Volk und Staat nicht mehr gerecht werden könnte.” (vgl. F.J. Brüggemeier, T. Rommelspacher: Blauer Himmel über der Ruhr, Essen 1992, S. 58ff). Brüggemeier und Rommelspacher schlußfolgern: ”Angesichts der Kriegssituation und der entschlossenen Haltung der Industrie blieben die Versuche, industrielle Belastungen zu vermindern, ohne Erfolg.” Vorschläge zur Kontrolle von Abgas- und Staubeinwirkungen wurden in der weiteren Industriepolitik nicht berücksichtigt.
Die empirischen Belege wider ”faschistische Ökologiepolitik” ließen sich endlos fortsetzen. Daß Spehr seine torkelnde Kategorie nicht empirisch prüft, ist nicht weiter schlimm – ”faschistische Ökologie”, diese Wort-Komposition wirkt schon an sich lächerlich angesichts der Kriegsschäden über Europa und Afrika. Angesichts der Massenvernichtung an Tieren und Menschen wirkt Spehrs Beitrag sogar zynisch und menschenverachtend (vgl. Begriffe wie ”ökologische Fundierung der Vernichtungspolitik”). Schlimm ist seine Hinfälligkeit an die braune ”ökologische” Selbstdarstellung, während er andererseits bereit ist, die ökologische Bewegung von heute (z.B. die für Nachhaltigkeit/Lokale Agenda 21) wegen der Vereinnahmungsmanöver ihrer Gegner für sinnlos zu erklären („Ökofalle“, S. 146ff).
Obwohl er zu Beginn seines September-Beitrages gegen umweltbewußtere (müllkontrollierende) Kinder wettert, lobt er doch, über eine historisch ernsthafte Untersuchung hinweg, scheinökologische Naturreservat-Propaganda der Nazis (vgl. dagegen G. Gröning, J. Wolschke: Naturschutz und Ökologie im Nationalsozialismus, in: Die alte Stadt 1/83, S. 10f). Schlimmer geht es nicht, Kinder! Laßt euch das nicht gefallen!
Bernhardt Eschment, Berlin-Zehlendorf
Antwort des Autors
Hier schützen, dort vernichten
Bert Eschment legt gegen die Ausführungen zur faschistischen Ökologie in der „Ökofalle“ energischen Protest ein. Wenn ich ihn richtig verstehe, findet er den Begriff falsch, sieht in meinem Beitrag eine Beschönigung der faschistischen Politik, und will für die Umweltpolitik des Faschismus nur die Bezeichnung „scheinökologisch“ gelten lassen. Ich möchte versuchen, auf seine Einwände kurz einzugehen.
1. Ich verwende den Begriff „faschistische Ökologie“ so, wie ich auch „faschistische Ökonomie“ oder „faschistische Sozialpolitik“ verwende, oder wie sich von „kapitalistischer Ökologie“, „Ökologie des Realsozialismus“ usw. sprechen läßt: als beschreibende Kategorie. Wie jedes Gesellschaftssystem seine Ökonomie hat, so hat es auch seine Ökologie: eine bestimmte Art und Weise, wie es sein Verhältnis zur Natur gestaltet, wie es seinen materiellen Austausch mit der Natur regelt, wie es seine stoffliche Reproduktion organisiert. Wenn wir die im Faschismus entwickelten und/oder angestrebten Austauschverhältnisse mit der Natur beschreiben, beschreiben wir die Ökologie des Faschismus.
Die kapitalistische Ökologie zwischen 1870 und 1930 ist ganz stark eine „Wegwerf-Ökologie“: Gebiete werden ökologisch ausgepreßt und dann durch „frische“ Gebiete ersetzt; die Rücksichtnahme auf die gesundheitlichen und umweltorientierten Bedürfnisse der ArbeiterInnenschaft ist ausgesucht gering. Die Ökologie des Faschismus ist von vorneherein anders: sie richtet sich erstens auf langfristige, stabile Beherrschung eines territorialen „Großraums“, sie will zweitens einen Teil der ArbeiterInnenschaft (arisch, männlich) privilegieren und integrieren, und sie definiert drittens konkrete Gruppen, die versklavt oder vernichtet werden, damit andere sauberer und ressourcenreicher leben können. Sie beantwortet das Problem, daß industrielle Entwicklung ihre eigenen ökologischen Voraussetzungen untergräbt (Ressourcen, Naturräume, Gesundheit), durch eine Politik der Planung, Spaltung und Vernichtung: die ökologischen Kosten sollen stabil und langfristig auf die „Ergänzungsräume“ abgewälzt werden.
2. Dies aufzuzeigen, bedeutet keine Beschönigung des Faschismus. Zynisch und menschenverachtend ist nicht mein Beitrag, sondern der Faschismus. Zynisch und menschenverachtend kann aber auch unser heutiges ökologisches Bemühen sein, wenn es sich nicht mit dem Problem der Spaltung auseinandersetzt: ökologische Zugeständnisse bei uns können durch Abwälzen der ökologischen Kosten auf andere Länder und Regionen erkauft sein. Das Nachdenken über ökologische Zusammenhänge (wieviel Natur braucht unsere Gesellschaft? wieviel Natur braucht unsere Wirtschaft?) kann auch in die Strategie münden, anderen Menschen und Staaten mehr Natur wegzunehmen, sie als Konkurrenten um Naturnutzung auszuschalten, ja zu vernichten. Das ist die Lehre aus der Beschäftigung mit der Ökologie des Faschismus.
Daraus folgt dann auch eine kritische Haltung zu gängigen Argumentationsmustern à la: die globalen Ressourcen sind begrenzt, also muß das Bevölkerungswachstum gestoppt werden, vor allem in den Entwicklungsländern (obwohl die Menschen dort weit weniger Natur verbrauchen als wir). Eine solche Argumentation ist deshalb noch nicht faschistisch: eine faschistische Haltung zum „Bevölkerungsproblem“ würde beinhalten, konkrete Gruppen zu definieren, die man vernichten, verhungern lassen oder sterilisieren will, „damit die Natur ausreicht“. Aber die Logik hat Ähnlichkeiten. Deshalb sollten wir auch eine kritische Haltung einnehmen zu Konzepten, die ausschließlich danach fragen, wie wir national unsere ökologische Zukunft sichern können, egal was das für andere heißt.
3. Es bleibt die Frage, ob – wie ich behaupte – das Dritte Reich eine „ökologischere“ Politik betrieben hat als die Weimarer Republik. (Ich habe „ökologisch“ dabei bewußt in Anführungszeichen gesetzt.) Tatsache ist, daß das Dritte Reich „mehr getan“ hat als die Weimarer Republik. Es wurden reihenweise Gesetzesvorhaben und Verordnungen verabschiedet, die in der Weimarer Zeit beraten wurden, aber politisch nicht durchgesetzt werden konnten (Naturschutzgesetz etc.), aber auch danach wurden neue, eigenständige Planungen und Maßnahmen entwickelt. Tatsache ist zweitens, daß die Politik des Dritten Reiches ungleich stärker von „ökologischen“ Fragestellungen bestimmt war. Die Frage, woher nehmen wir in Zukunft die Rohstoffe und den Naturraum, führte konsequent bis in den Angriffskrieg und die Vernichtungspolitik hinein; aber es wurden verschiedenste Ökologie-Themen, z.B. Energie- oder Wasserhaushalt (die Debatte um das Problem der „Versteppung“), sehr viel offener als in der Weimarer Zeit und durchaus kontrovers diskutiert. Tatsache ist drittens, daß eine Reihe von umweltpolitischen Einrichtungen, Instituten und Instrumenten geschaffen wurde, die für vieles, was nach 1945 umweltpolitisch geschah, die Grundlage waren. (Das ist es ja gerade, was einem zu denken gibt.)
Wie sich die ökologische Lebensqualität derjenigen Deutschen, die nicht ethnisch, politisch, religiös usw. ausgegrenzt und verfolgt wurden, während des Dritten Reiches faktisch entwickelt hat, auch verglichen mit der Weimarer Zeit, ist – soweit mir bekannt – bislang nicht umfassend untersucht worden. Ich denke aber, wir können es uns mit der Frage nicht so leicht machen, wie Eschment nahelegt. Eine genauere Debatte darüber fände ich äußerst spannend; ich glaube, daß wir dabei mit Beurteilungen wie „scheinökologisch“ nicht weit kommen, sondern das Profil sichtbar machen müßten, wie Lebensqualität und Vernichtung verteilt wurde. Historisch belegt ist ja z.B. auch die Tatsache, daß die Versorgungslage der deutschen Bevölkerung im „Altreich“ bis 1943 trotz Krieg keineswegs so schlecht war, eben wegen der skrupellosen Auspressung der eroberten Gebiete. Es gehört zum Grauenhaften des faschistischen Systems, daß es darin auch ganz gemütliche Inseln gibt – beides gehört zusammen. Und es legt uns nahe, auch heute immer wieder gewissenhaft die Frage zu stellen: auf welcher Insel leben wir?
Christoph Spehr, Bremen