Aus DER RABE RALF Februar 1998
Colin Clark hatte eine schlechte Nachricht für die Wale. Immer hatte es geheißen, daß ihre Ausrottung zwar dem einzelnen Walschlächter blutigen Profit bringt, insgesamt aber ein Verlust ist – auch ökonomisch. Getreu dem Prinzip, daß man die Gans nicht schlachtet, die goldene Eier legt, gehen die meisten Theorien davon aus, daß eine nachhaltige Bewirtschaftung langfristig den größten ökonomischen Vorteil bringt. Eine Fangquote, die das Überleben der Art gewährleistet, anstatt so viele Wale wie möglich abzuschießen, führt zunächst zu geringeren Einnahmen. Wenn aber keine Wale mehr da sind, verschwindet auch der Profit. Auf lange Sicht lohnt es sich also, die Art zu erhalten, gerade weil man sie wirtschaftlich nutzen kann. Ihre Ausrottung liegt demnach entweder an Unwissen und kurzfristigem Denken oder aber an der privatwirtschaftlichen Konkurrenz. Würden alle Wale einem einzigen Eigentümer gehören oder einer gemeinsam wirtschaftenden Gruppe, läge es in deren Interesse, sie zu erhalten. An diesem Argument knüpfen sowohl die Wirtschaftsfundamentalisten an, nach deren Ansicht die Wirtschaft auf lange Sicht schon selbst für die Natur sorgt, als auch die Verfechter von gemeinsamem Eigentum an Naturgütern. Ihr Vorbild ist die Allmende der mittelalterlichen europäischen Dorfgemeinschaft: ein Stück Land, das allen gemeinsam gehört, in bestimmtem Rahmen von allen genutzt werden darf, aber nicht privat aufgeteilt wird und deshalb keinen individuellen Profit abwirft.
Colin Clark rechnete den arktischen Blauwalen jedoch vor, daß ihre Ausrottung leider durchaus der ökonomischen Vernunft entspricht. Auch für einen einzelnen Eigentümer lohnt es sich unter bestimmten Umständen, den Gesamtbestand schnellstens zu vernichten. Die Rechnung ist simpel. Wenn man die Population etwa bei der Größe hält, wo sie die höchste Zuwachsrate hat, dann hat man eine Herde von 75.000 Blauwalen mit einem jährlichen Zuwachs von 2.000 Tieren. Schießt man diese ab, bei einem Gewinn von 10.000 Dollar pro Stück, kann man Jahr für Jahr 20 Mio. Dollar verdienen. Nicht schlecht. Aber: Schlachtet man alle Wale in einem Jahr ab, verdient man 750 Mio. Dollar auf einen Schlag, und legt man diese bei 5% Zinsen woanders an, dann hat man zwar keine Wale mehr – aber einen ebenfalls unbegrenzten jährlichen Profit von 37,5 Mio. Dollar. Natürlich hätte man beim sofortigen Verkauf Probleme mit dem Preis, und es wäre sehr aufwendig, die letzten Exemplare überhaupt aufzuspüren. Das ändert aber nichts daran, daß eine Fangquote, die zur Ausrottung führt, trotzdem langfristig wirtschaftlich profitabel ist, weil Kapital mehr Profit abwirft als Wale. Genaugenommen hält Kapital länger als Wale, und deshalb lohnt sich Ausrottung – auch wenn sich die Wale in Staatsbesitz oder Gemeineigentum befinden. Profit abzuwerfen, schützt nicht vor Vernichtung – die Natur nicht, und Menschen bekanntlich auch nicht.
Naturschutz ist also kein Nebenprodukt der Ökonomie, so wie die Teflonpfanne bei der Raumfahrt. Die Hoffnungen, die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung mit ökologischen Zielen verbinden zu können, richtet sich denn auch mehr auf einen anderen Aspekt: auf das richtige Management von Natur.
Management von Natur ist nötig, weil es neben der ökonomischen Verwertung der ”Kadaver” auch noch andere Ziele und Kriterien für den Umgang mit der Natur gibt. Die Sicherung des Überlebens bedarf sich erneuernder Nahrungsquellen. Die Natur, die damit in Zusammenhang steht, darf also nicht ausgerottet werden. Alle vorkapitalistischen Gesellschaften verfügen daher über sehr komplexe Regeln für den Umgang mit der Natur, die sie ihren Individuen einbleuen. Wie diese Regeln formuliert oder begründet werden, ist dabei egal, solange sie ihren Zweck erfüllen.
Sicherung der Nahrungsquellen ist nicht das einzige Ziel. Es gibt Ziele der Gesundheit oder der Ästhetik, der Überlebenssicherung jenseits der Nahrungsbeschaffung oder der Lebensqualität. Es gibt auch Ziele eines langfristigen Erhalts der Natur als Ursprung für spätere gesellschaftliche Nutzungen, die sich jetzt noch gar nicht absehen lassen und sich dementsprechend auch nicht ökonomisch niederschlagen. Alle diese Ziele stehen miteinander in Widerstreit. Das ist der zweite Grund, warum Management von Natur erfolgt: die Regeln müssen helfen, die jeweils angestrebte ”Mischung” an gesellschaftlichen Zielen zu erreichen.
Natur zu managen ist schließlich auch deshalb nötig, weil die Natur äußerst eigenwillig auf den Kontakt mit der Gesellschaft reagieren kann. Daß eine Art ausstirbt, weil sie bejagt wird, ist ein einfacher Fall. Arten sterben aber auch ganz ohne Bejagung aus, weil ihr Lebensraum verändert wird. Geringe Veränderungen können große Folgen haben. Das gilt nicht nur für Arten, sondern für alle biologischen Vorgänge und auch für geologische oder klimatische Prozesse. Naturmanagement ist ein Versuch, den Eigengesetzlichkeiten der Natur Rechnung zu tragen, ihre Spontaneität für Strategien der Nutzung oder Erhaltung kalkulierbar zu machen.
Grundsätzlich betreibt jede Gesellschaft Naturmanagement. Sie nutzt Natur in vielfältiger Weise und muß in ihrem Handeln berücksichtigen, wie die Natur darauf reagiert. Management bedeutet, auf eine Organisationseinheit so einzuwirken, daß sie bestimmte Ziele erfüllt. Naturmanagement muß nicht bedeuten, Natur zu erhalten: auch die Ausrottung von „Schädlingen“ fällt unter Naturmanagement, oder Ausrottungen, die einfach in Kauf genommen werden zugunsten anderer Vorteile. Naturmanagement heißt einfach, daß die Gesellschaft in einer bewußten Weise auf die Natur einwirkt, um verschiedene Vorstellungen und Ziele in Bezug auf diese Natur zu verwirklichen. Jedenfalls versucht sie das. Die Frage, wieviel Naturmanagement überhaupt möglich ist, stellt sich ebenso wie die Frage, wieviel Management die Natur verträgt.
In der Geschichte lassen sich grob zwei Typen von Naturmanagement unterscheiden. Das eine ist der traditionelle Typ eines kulturellen Naturmanagements. Es ist gekennzeichnet durch überliefertes Wissen, eine dezentrale Praxis und die Bedeutung kultureller Rückkopplung. Die meisten vorkapitalistischen Gesellschaften sind in weiten Teilen diesem Typ von Naturmanagement verpflichtet: es ist die Art, wie eine bäuerliche Kultur ihre Äcker bestellt, wie eine indigene Kultur ihre Entnahmen aus der Natur kalkuliert, wie Saatgut erhalten und rituelle Regeln berücksichtigt werden. Im Laufe der europäischen Moderne halten sich Formen des traditionellen Managements noch lange, auf dem Land und in wenig erschlossenen Gebieten. – Der andere ist der Typ des technokratischen Naturmanagements. Er entwickelt sich mit der europäischen Neuzeit, der kolonialen Ausbreitung und der industriell-kapitalistischen Entwicklung. Er ist gekennzeichnet durch akademisches Expertenwissen, eine zentralistische Praxis und durch die Vorherrschaft eines Effizienzdenkens in Bezug auf die gesellschaftliche Naturnutzung. In Ansätzen existiert technokratisches Naturmanagement auch schon früher; aber erst mit der europäischen Moderne wird dieser Typ bestimmend und verdrängt das traditionelle Naturmanagement auf breiter Front.
Um romantisch verklärten Kurzschlüssen vorzubeugen: schlechtes Management und Umweltkatastrophen lassen sich mit beiden Arten von Naturmanagement erzielen. Ein bekanntes Beispiel ist die Geschichte der Osterinseln. Lange vor der portugiesischen Kolonisierung brauchten rivalisierende Gruppen die Waldbestände nach und nach vollständig auf, um die riesigen Statuen zu errichten, in denen sich gesellschaftliches Prestige und Machtanspruch ausdrückten – bis die Geschichte dieser Gesellschaft in einer tragischen Spirale von Abholzung, Erosion, erschöpften Nahrungsmittelreserven, sozialem Elend und Kannibalismus endete. Eine schlechte Gesellschaft macht schlechtes Naturmanagement; traditionelle Formen sind da keine Garantie. Moderne allerdings auch nicht.
Wenn heute von Möglichkeiten und Grenzen von Naturmanagement gesprochen wird, ist meist das moderne, technokratische Naturmanagement gemeint. Die Haltung zu diesem heute herrschenden Management ist in zweierlei Hinsicht Teil der Öko-Falle. Auf der einen Seite gibt es die Ansicht, mit modernem Naturmanagement sei prinzipiell alles möglich. Die Möglichkeiten, Natur zu nutzen und durch geschicktes Vorgehen gleichzeitig zu erhalten, seien unbegrenzt und würden durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt beliebig erweitert; allerdings müßte die Gesellschaft bestimmte Bedingungen dieses Managements stärker akzeptieren und sich dementsprechend verhalten. In die Öko-Falle – ökologische Verhältnisse ohne Bezug auf den Herrschaftscharakter der Gesellschaft zu sehen – tappt jedoch auch eine zweite, sehr modische Haltung: Es ist der Versuch, gegen die herrschende gesellschaftliche Praxis von Naturnutzung ökologisch zu argumentieren und sie zu überzeugen, daß ihr Naturmanagement überhaupt nicht funktionieren kann. Diese Auffassung beruft sich gern auf Forschungen über komplexe Systeme und vereinfacht sie zu der Botschaft, die Steuerung natürlicher Prozesse sei überhaupt nicht möglich.
Beides ist falsch. Naturmanagement ist kein Füllhorn und schafft keine Wunder. Naturmanagement ist aber auch nicht einfach ein Irrtum. Das herrschende technokratische Naturmanagement beruht tatsächlich auf einer Reihe von Vorstellungen über die Natur, die unzutreffend sind. Aber es bringt trotzdem Ergebnisse. Und die Rationalität dieser Ergebnisse wird deutlich, wenn sie vor dem Hintergrund der Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaft betrachtet wird.
Ursprung und Entwicklung des modernen Naturmanagements
Das moderne Naturmanagement hat seinen geschichtlichen Ursprung in der Kolonialzeit. Die ersten großflächigen Schutzbemühungen aus ökologischen Motiven finden tatsächlich in den Kolonien statt. Die indischen Waldgesetze nach der britischen Kolonisation (1865 und 1878), der Cape Act in Südafrika (1886), die Jagd- und Wildschutzverordnung für Deutsch-Ostafrika: alle folgen demselben Muster. Riesige naturnahe Gebiete werden unter staatlichen „Schutz“ gestellt. Den Einheimischen wird die Nutzung dieser Naturressourcen verboten. Durch staatliche Lenkung und Planung wird versucht, eine langfristige, nachhaltige Nutzung dieser Ressourcen durch die Kolonisatoren zu gewährleisten. Diese Nutzung bestand vor allem im Jagd- und Expeditionsvergnügen der reichen internationalen Oberschicht aus altem Adel und neuen Reichen.
Diese Form des Naturmanagements folgte dem simplen Prinzip: schaffe beiseite, was du für was anderes verwenden willst. Gemanagt wird eine unterworfene Natur, die als koloniales Gebiet total verfügbar ist; bewohnt von Menschen, die keine Rechte anzumelden haben; nach Zielen, die den Bedürfnissen einiger Weniger dienen. Es ist ein Naturmanagement des kolonialen Hochmuts, der Gleichsetzung von Kolonie mit Primitivität und mit Natur. Für die industrialisierten Mutterländer gilt als selbstverständlich, daß sie ihre Natur aufgebraucht haben, sie sind schließlich zivilisiert. Von hier führt eine direkte Linie zu den hochfliegenden Plänen der deutschen Naturschützer der Nazizeit, deren Planungen sich auf die eroberten Ostgebiete richteten, wo die Menschen ebenfalls nichts zählten.
Diese Variante von Naturmanagement wurde dann in die Industrieländer selbst rückimportiert. Auch dort gab es schließlich noch relativ unberührte Gebiete, bewohnt von Menschen, die nichts zählten, den nordamerikanischen Indianern zum Beispiel. Der Naturschutz für diese Gebiete behandelte sie einfach als innere Kolonien. Die US-amerikanischen Schutzgebiete, die unter Roosevelt 1903-1909 ausgewiesen wurden, gingen auf die Aktivitäten von Lobbygruppen wie dem Boone and Crockett Club zurück, in dem sich die gleiche jagende Oberschicht fand, die in den britischen Kolonien von den „Schutzgesetzen“ profitiert hatte. Andere Ursprünge gab es kaum; so folgte die Forstpolitik keiner ökologischen, sondern einer rein ökonomischen Motivation. Der Forest Reserve Act 1891 und die Einrichtung des Forest Service 1905 in den USA waren Maßnahmen der Verstaatlichung großer Teile der Holzproduktion, um angesichts drohender Verknappung das Entstehen von Monopolpreisen zu verhindern. Die Beiseitenahme „unberührter“ Natur ist nicht zu trennen von kolonialistischen Motiven und ethnischer Diskriminierung.
Wirklich gemanagt wurden diese Flächen erst später: als deutlich wurde, daß die isolierte Abtrennung von Naturräumen und die einseitigen Eingriffe zu katastrophalen Folgen führen. Naturschutz ohne Naturmanagement funktioniert nicht. Wenn man ein Stück Natur isoliert und „geschützt“ hat, wird man bald ein unerfreuliches Durcheinander entdecken, und schleunigst anfangen, es durch zielgerichtete Eingriffe zu „managen“. Die Abtrennung von einer Umgebung, die sich „zivilisiert“, bleibt nicht ohne Folgen. Allein die Veränderung der Flächengröße schafft Probleme: ein Gebiet von ein paar dutzend Kilometern Durchmesser funktioniert anders als ein Naturraum von ein paar tausend Kilometern Durchmesser, auch wenn sonst nichts verändert wird.
Schutzgebiete brauchen also ein inneres Management. Das war die Philosophie Aldo Leopolds, der 1933 in den USA als erster den Begriff wildlife management einführte. Dafür schien es gute Gründe zu geben. Als Folge der Raubwildausrottung vermehrten sich im Kern County die Mäuse so gigantisch, daß im Jahr 1928 die Straßen unpassierbar wurden, weil sie von einem glibberigen Schlick aus überfahrenen Nagetieren bedeckt waren. Die hochgepäppelten Wildbestände im Kaibab brachen zusammen, weil das Rotwild den Wald kahlfraß und sich in den eigenen Hungertod stürzte. 100 Jahre falsche Bewirtschaftung in den Great Plains, der dust bowl (Staubschüssel), führten 1935 zum Jahr der „Schwarzen Blizzards“: durch die Erosion provozierte Staubstürme, die den Himmel verdunkelten, Menschenleben forderten und massive volkswirtschaftliche Schäden mit sich brachten. Korrigierendes Management schien unerläßlich.
Der Grundgedanke der kolonialen „Schutzgebiete“ blieb jedoch erhalten: Gemanagt wurde die isolierte, abgetrennte Natur. Sie stand den anderen Gebieten gegenüber, in denen die Zivilisation herrschte, die den Gesetzen ökonomischer Entwicklung zu folgen hatten und auf die kein Naturmanagement angewandt wurde, weil sie – in dieser Sichtweise – keine Natur waren. Das hatte seine Entsprechung im Management von menschlicher Natur. In den 30er und 40er Jahren entwickelten alle Industrieländer organisierte Formen staatlicher Freizeitpolitik: von der Nutzung der amerikanischen Parks für die breite Masse männlicher Lohnarbeiter und ihre Erholungsbedürfnisse über die sowjetischen Sanatorien bis zu den staatlich gelenkten Freizeitorganisationen des deutschen und italienischen Faschismus („Kraft durch Freude“ bzw. „dopolavora“). Als produktiver, „zivilisierter“ Mensch hatte der Lohnarbeiter dem Kommando der industriellen Modernisierung und Intensivierung zu folgen; als Freizeitmensch bekam er Ausgleichsflächen zugeteilt, um sich davon zu erholen.
Auch dieses Naturmanagement durch Zerstückelung – arbeite hier, erhole dich da; zementiere dies hier zu, setze einen Naturpark daneben – brach jedoch zusammen. „Natur“ ließ sich nicht hinreichend von „Zivilisation“ abtrennen. Die Naturschutzgebiete litten unter dem zunehmenden Schadstoffeintrag genauso wie unter dem Ansturm der erholungssuchenden Freizeitmassen. Umgekehrt wurde deutlich, daß überall Natur war, die geschützt oder gemanagt werden mußte. Die Todesopfer des Londoner Smogs 1952, die zunehmenden Gesundheitsprobleme am Arbeits- und Wohnort, dies ließ sich nicht mehr durch Ausgleich „woanders“ kompensieren. Man mußte das Ganze managen. Und dazu brauchte es mehr Information, mehr Wissen, mehr Technik. Das war – und ist – die Philosophie des wissenschaftlichen Naturmanagements: Naturschutz und Krisenfestigkeit durch den höchsten Stand von Wissenschaft und Technik.
Das Grundprinzip blieb: so viel (ökonomische) Entwicklung wie möglich, so viel (Natur-)Schutz wie nötig. Das Verhältnis zwischen Natur und Entwicklung selbst galt es zu effektivieren, und die effektivsten Formen herauszufinden, war die Aufgabe des Naturmanagements. Seit Dennis Meadows für den Club-of-Rome-Bericht ”Die Grenzen des Wachstums” 1972 die gesamte Erde in ein Computerprogramm bannte, wird versucht, dieses Prinzip auf den gesamten Globus auszudehnen.
Im Zuge der effektivierenden Intelligenz berauschte man sich an der Vorstellung, daß zwar alles mit allem zusammenhing, man aber die zugrundeliegende Konstruktion natürlicher Zusammenhänge erkennen, nachahmen, manipulieren konnte: dieses durch jenes ersetzen, diese Impulse künstlich imitieren, statt dieser Art jene aussetzen usw. Es war die große Zeit der ökologischen Worthülsen wie „Gleichgewicht“, „Kreislauf“, „Ökosystem“ und von kybernetischen Analyseverfahren. Die Natur als Maschine: eine komplizierte zwar, aber eine, die sich durchaus von Menschen erheblich verbessern ließ. Wenn man nur genug wußte, konnte man anstatt einer ausgerotteten Art eine andere ansiedeln, die die gleiche „ökologische Nische“ füllte und dabei strapazierfähiger und weniger anspruchsvoll war.
Was heute an Naturmanagement betrieben – und zunehmend weltweit ausgeübt – wird, baut auf den Konzepten auf, die in den 70er Jahren ihren Durchbruch erlebten. Auf den Zusammenbruch der Trennung wird immer noch mit dem Management des Ganzen reagiert. Das gilt übrigens auch für uns selbst. Die Bevölkerung der Industrieländer unterscheidet sich, technisch gesehen, nicht von einer großen Nutztierpopulation, die einem sehr komplexen Management unterworfen ist. Psychologie und Sozialtechnologie gehören dazu genauso wie die Fülle wissenschaftlich untermauerter Grenzwerte. All das folgt der Frage: wie können die Folgen der industriell-kapitalistischen Entwicklung auf das Natur- und Gesellschaftswesen Mensch so gestaltet werden, daß die Funktionsfähigkeit des Menschen erhalten bleibt? Wie müssen Belastungen verteilt werden, welche ökologischen Korrekturen sind notwendig, damit die Bevölkerung nicht komplett an Krebs oder Herzinfarkt stirbt, nicht durchdreht, nicht komplett depressiv oder ausfällig wird? Es ist ein Optimierungsvorgang nach dem Muster des kolonialen Managements: die Zivilisation ist ein Dogma, und man muß sich darum kümmern, wie die Natur – in diesem Fall die menschliche Natur – diese Zivilisation aushält, welches Management dafür nötig ist.
Wissenschaftlich gesehen, ist die Phase des wissenschaftlich-technischen Managements im Ganzen heute jedoch zu Ende, weil viele ihrer Vorhaben gescheitert sind und weil deutlich wurde, daß die ökologischen Vorstellungen, auf denen sie beruhten, falsch sind. Der kalifornische Condor wird wohl doch aussterben, trotz Dutzender Rangers, die bewaffnet seine letzten Horste umschleichen und seine Eier bewachen. Und wenn er doch überleben sollte, so wird man den Tausenden anderen gefährdeten Arten wohl kaum dieselbe Pflege angedeihen lassen können. Die meisten gefährdeten Arten sind vermutlich sowieso unbekannt. Im Falle der Klimaveränderung müßten Manipulationen ohne hinreichende Datenlage vorgenommen werden. Das Konzept der umfassenden Optimierung greift nicht. Die Generation meines Alters in den hochentwickelten Industrieländern wird die erste sein, deren Lebens- und Gesundheitserwartung niedriger ist als die der vorherigen Generation.
Mit hoher Konzentration von Mitteln und Geld ist dem wissenschaftlichen Naturmanagement einiges möglich. Den Anspruch, das Ganze so zu managen, daß es erhalten bleibt, kann es aber nicht einlösen. Trotzdem folgen alle Projekte von Naturmanagement nach wie vor den inzwischen widerlegten Dogmen des wissenschaftlichen Naturmanagements. Nur größer, komplexer, dramatisch folgenreicher, aber mit denselben Fehlern. Es gibt bislang keine neue Variante von Naturmanagement, die die alte ablöst. Und es scheint fraglich, ob es überhaupt noch eine neue Phase des technokratischen Naturmanagements geben wird, die in der Lage ist, die Fehler der alten Phase wenigstens hinauszuschieben.
Seit Rio 1992 ist immerhin Allgemeingut, daß es keine Versöhnung von ungehemmter ökonomischer Entwicklung und den Bedürfnissen der Biosphäre gibt. Die Folgen des globalen Industrialismus lassen sich nicht einfach wegmanagen. Die Praxis bleibt dennoch die gleiche. Was sich ändert, sind die Ziele: Sicherung weltweiter Zugangsrechte des Nordens auf den ökologischen Reichtum des Südens; ”ökologische Apartheid” (Natur im Süden muß geschützt werden, auch gegen die dortigen Menschen); Entwicklung der Zivilisation im Norden, um Wissenschaft und Technik zu produzieren und das Ganze zu managen. Das technokratische Naturmanagement kehrt wieder deutlicher seine kolonialen (und rassistischen) Ursprünge hervor.
Christoph Spehr
Literatur:
Colin W. Clark: Mathematical Bioeconomics, 2. Aufl., New York 1990.
Fred Göricke und Monika Reimann: Treibstoff statt Nahrungsmittel, Hamburg 1982.
Doris Hofer u.a.: Wildtiermanagement im internationalen Vergleich, Freising 1993.
Clive Ponting: A Green History of the World, New York 1992.
Christoph Spehr: Die Jagd nach Natur, Frankfurt/M. 1994.
Gekürzt und bearbeitet aus:
Christoph Spehr, ”Die Ökofalle –
Nachhaltigkeit und Krise”, Promedia
Verlag, Wien 1996, 240 S., 34,- DM.