Von der Natursehnsucht zum „Ökofaschismus“

Aus DER RABE RALF Oktober 1996

Seit der Aufklärung, besonders aber seit dem 19. Jahrhundert, ist die Natur, und alles, für das sie steht – das Land, das Dorf, die Bauern, die Frauen (und die Mütter im besonderen), die Heimat, die „Naturvölker“ – zum beliebten Streitobjekt zwischen den politisch-ideologischen Lagern geworden, den sogenannten Konservativen und den sogenannten Progressiven, d.h. Linken und Liberalen („sogenannt“, weil sich diese Lager im Kern weniger unterschieden als an der Oberfläche). Beide gehen von einem scheinbar völlig entgegengesetzten Naturbegriff aus.

Feindliche Natur, gute Natur

Die Progressiven, die sich als Fortsetzer und Vollstrecker der aufklärerischen Bewegung des 17. Jahrhunderts verstehen, sehen in der Natur die Gegnerin, die durch Wissenschaft und Technik, marxistisch gesprochen durch die Entwicklung der Produktivkräfte, unterworfen und in den Dienst des Menschen gestellt werden muß.

„Die moderne Rationalität befindet sich in einem erbittertem Kampf gegen die alte Welt, die sie sich ihrer Dressur unterwerfen will. Die Wildnis, die nichtkultivierte Natur steht auf der Gegenseite der Vernunft, ist ihr Feind, der unterworfen werden muß.“
Rolf Peter Sieferle1

Im Gegensatz dazu sehen konservative Kritiker die Natur als Freundin, als gute Mutter, die vor der rein nutznießenden Verwertung und Vernutzung durch den Industriekapitalismus geschützt werden sollte. Allerdings nur in Teilbereichen: in Biotopen, Landschaftsgärten, Museen, durch Ästhetisierung und Romantisierung und den Schutz der Natur.

Diesen beiden Naturauffassungen entsprechen zwei unterschiedliche Formen der Kapitalismuskritik, der linken und der konservativen, die, nach Sieferle, auch von zwei spiegelbildlich verkehrten Utopien ausgehen, „einmal auf die Zukunft, das andere Mal auf die Vergangenheit gerichtet.“

Die konservative Zivilisations- und Kapitalismuskritik, ihre romantische Verklärung vormoderner, vorkapitalistischer, vorwissenschaftlicher Zustände wird seit dem 19. Jahrhundert bis heute von Linken und Liberalen als reaktionär, irrational, fortschrittsfeindlich, maschinenstürmerisch und – seit den Erfahrungen des Hitlerregimes – als „potentiell faschistisch“, als „faschistoid“ gebrandmarkt, aber dadurch nicht erklärt. Besonders Linke halten an Marx‘ Geschichtsphilosophie fest, wonach fortschreitende Naturbeherrschung und Entwicklung der Produktivkräfte die Grundlage für politische Befreiung aus veralteten gesellschaftlichen Verhältnissen – Produktionsverhältnissen – ist. Dieser Fortschritt, diese Höherentwicklung wird wie ein sich quasi naturgesetzlich vollziehendes, notwendiges Geschehen angesehen, das durch rückwärtsgewandte, romantische Gegenbewegungen nicht aufgehalten werden kann. „Es gibt doch in der Geschichte kein Zurück“, kann man oft hören.

Abwertung von Gefühlen

Dabei werden Gefühle – wie Trauer um die zerstörte Natur, um die verlorene Heimat, Sehnsucht nach Geborgenheit, Lebendigkeit, Freiheit, Angst vor der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, Verzweiflung über die tote, maschinenhafte Industriekultur und die Sinnlosigkeit der Arbeit – von Liberalen und Linken häufig immer noch als bloße Hysterie, als Irrationalismus, als Fortsetzung der konservativ-romantischen, letztlich reaktionären Tradition des 19. Jahrhunderts angesehen. Diese Art von schematischem Rechts-Links-Denken schiebt alle die oben aufgezählten Gefühle einfach in die rechte Ecke. Diese Gefühle und Sehnsüchte fanden und finden sich jedoch nicht nur beim gelangweilten, städtischen Bildungsbürgertum, sondern sie werden auch von den „proletarischen Massen“ geteilt. Christel Neusüss hat nachgewiesen, daß die Rationalisierungsdebatte der SPD in der Weimarer Republik, bei der es hauptsächlich um um die Umstrukturierung der Arbeit zugunsten der Kopfarbeit und um eine Entwertung der Handarbeit ging, bei vielen Fabrikarbeitern auf Widerstand stieß. Dieser Widerstand entsprang nicht nur dem Interesse, ein größeres Stück vom Kuchen des Profits abzubekommen, sondern ebenfalls jenen Gefühlen der Trauer, der Entfremdung, des Getrenntseins von der Natur, vom eigenen Körper, des Verlustes der sinnlichen und sinnvollen Arbeit. Doch die SPD und auch die KPD haben diese Gefühle entweder gar nicht wahrgenommen oder sie eben als irrational, reaktionär und faschistoid abgetan. Damit haben sie diese ganzen Gefühle, die hier mit Natur-Sehnsucht zusammengefaßt werden, einfach den Faschisten überlassen. Sie waren nicht in der Lage, sie in ihre eigene Utopie mit aufzunehmen.2

Der Faschismusvorwurf

Die Faschisten wiederum haben alle diese Gefühle und Sehnsüchte „besetzt“ und für ihre Vorstellung einer neuen, völkischen Gesellschaft genutzt. Der Erfolg der Nationalsozialisten, die Zustimmung, die sie bei den Massen fanden, die Hoffnung, die sie für viele – auch Arbeiter – darstellten, die Tatsache, daß sie durch reguläre Wahlen an die Macht kamen – all das läßt sich meines Erachtens nicht erklären, wenn man nicht den machtvollen Einfluß jener Gefühle und Sehnsüchte auf die Geschichte sowie ihre tatsächliche Verankerung in unserer eigenen Existenz in die Analysen miteinbezieht.

Dieses Einbeziehen geschieht aber gerade nicht, wenn diese Inhalte und Gefühle nur denunziert, abgewertet werden. Nach der (auch moralischen) Niederlage des Faschismus geschieht das immer dadurch, daß die Beschäftigung mit diesen Themen durch Linke und Liberale sehr schnell in die Nähe des Faschismus gerückt wird. Dieser ausgesprochene oder unausgesprochene Faschismusverdacht, der sich inzwischen auch gegen viele Grüne und Alternative richtet, wirkt inzwischen wie ein Denk-und Handlungsverbot, das vor allem verhindert, daß über die brennenden Fragen der Zeit anders als bisher nachgedacht wird. Jeder Versuch der Eröffnung eines anderen Blicks auf die Natur, die Frauen und die unterdrückten Völker wird sehr schnell mit einem Deja vu abgetan: Das hatten wir alles schon mal, heißt es dann, das ist ja nichts Neues, das hat ja die Romantik, die Lebensreformbewegung, die alte Natur- und Heimatschutzbewegung auch schon so oder ähnlich gesagt. Wer sich mit Natur, Bauern, Heimat, Müttern und Kindern befaßt, setzt angeblich nur reaktionäre und faschistoide Traditionslinien fort.1

Ist Mütterlichkeit reaktionär?

In der Frauenbewegung ist dieses starre Rechts-Links-Schema, oder dieses Hinken nach beiden Seiten – mal auf dem rechten, mal auf dem linken Bein – besonders an der Anti-Atombewegung der Mütter nach Tschernobyl und im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das „Müttermanifest“ von Teilen der Frauen bei den Grünen noch einmal klar zutage getreten.3 Dieser „Schon-mal dagewesen“-Standpunkt ist dadurch gekennzeichnet, daß er sich wieder auf den alten, distanzierten (und leicht blasierten) Wissenschaftsbegriff zurückzieht, der nach wie vor an der Subjekt-Objekt-Trennung festhält, also die Frauen- und Umweltbewegung lediglich als Forschungsgegenstand betrachtet.4

Die Abwertung der Mütter und der Mütterlichkeit verhindert eine andere als die bisherige Auseinandersetzung mit der Tatsache, daß Frauen Mütter sein können. Dadurch, daß alle Frauen, die sich mit der „Mütterfrage“ befassen, in die rechte Ecke gestellt werden, wird außerdem verschleiert, daß ja nicht diese angeblich irrationalen Mütter vom Faschismus profitiert haben, sondern umgekehrt die der „Vernunft“ verpflichteten Wissenschaftler, die Juristen, Beamten und die Industrie. Da die Linken den Rechten diese Inhalte für ihre Propaganda und ihre Ideologien überlassen, kann sich der Industriekapitalismus um so ungehinderter entfalten. Die linken und liberalen KritikerInnen der „aus dem Bauch“ handelnden Alternativbewegungen haben bis heute keine andere Utopie als die anzubieten, die auf fortgesetzter Naturzerstörung durch industrielles Wachstum beruht.

Verdrängte Verzweiflung

Es gehört allerdings inzwischen zum guten Ton dieser sogenannten „post-modernen“ Kreise, auf Utopien ganz zu verzichten, da ja alle bisher gescheitert seien. Wer kann denn nach dem Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus noch so vermessen sein, noch einmal einen Gegenentwurf zur heutigen Gesellschaft auszudenken, wenn ja alles schon mal da war, wenn „das Ende der Geschichte” (Francis Fukuyama) gekommen ist. Darum ist auch aus dieser Richtung kein Hinweis auf eine mögliche Alternative zu finden. Man beschränkt sich auf die „kritische Kritik“, ohne einen eigenen neuen Gedanken oder einen Standpunkt zu formulieren. So kann man sicher sein, immer auf der richtigen Seite zu stehen. Denn es ist in der Tat dieser verzweifelte Nihilismus, diese blasierte (und vor dem Hintergrund der realen Verhältnisse zwischen Industrieländern und armen Ländern häufig nur affektiert wirkende) Hoffnungslosigkeit, die jetzt wieder den Weg frei macht für die oben erwähnte faschistische Besetzung und Ausnutzung jener tiefgreifenden Gefühle und Sehnsüchte einerseits und andererseits für die ungebremste kapitalistische Verwertung genau jener Sehnsüchte und ihrer Objekte. Für Frauen heißt das inzwischen, daß ihre Gebärfähigkeit und ihr Körper an Technik und Industrie „angepaßt“ werden. Von Frauen noch als von ”Müttern” zu reden, von Menschen als von ”Frauen Geborenen” wird angesichts des rasanten ”Fortschritts” der Gen- und Reproduktionstechnologien immer altmodischer, ja, im Sinne jener linken und liberalen KritikerInnen immer ”reaktionärer”. Wer heute für die Natur oder für die Mütter eintritt und nichts mehr vom Fortschrittsglauben hält, wird verdächtigt, zurück zu feudalen Verhältnissen zu wollen oder gar vom „Ökofaschismus“ angesteckt zu sein. Ein anderes Denken als in linearen Vorwärts-Rückwärts-Kategorien scheint nicht möglich. Doch angesichts der realen Bedrohung auch der materiellen Existenzgrundlagen ist es an der Zeit, dieses unversöhnliche Gegeneinander von ”guter” und ”böser” Natur, von ”Rationalität” und ”Irrationalität”, von ”Subjekt” und ”Objekt”, dem ”Ich” und dem ”Anderen”, der ”Natur” und der ”Kultur” aufzugeben.5 Das bringt uns nicht mehr weiter. Die Natur ist, wie Claudia von Werlhof schreibt, weder gut noch böse, sondern sie ist vor allem lebendig, wie wir selbst lebendig sind. Und sie ist, wie nicht nur die Indianer sagen, ”unsere Mutter” – nicht bloß Materie, Rohstoff, ”sondern geistig beseelte Materie, sich materialisierender Geist. Wir haben vergessen, daß wir das, was wir ihr antun, uns selbst antun.”6

Maria Mies

1 Rolf Peter Sieferle: Fortschrittsfeinde – Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, Beck, München 1986

2 Christel Neusüss: Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung oder Die Genossin Luxemburg bringt alles durcheinander, Rasch & Röhrig, Hamburg 1985

3 Claudia Pinl: Vom kleinen zum großen Unterschied – Geschlechterdifferenz und konservative Wende im Feminismus, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1993

4 Maria Mies: Frauenbewegung und 15 Jahre methodische Postulate zur Frauenforschung, Kore-Verlag 1994

5 Val Plumwood: Feminism and the Mastery of Nature, Routledge, London 1993

6 Claudia von Werlhof: Kaputt durch Naturschutz, in: Männliche Natur und künstliches Geschlecht – Texte zur Erkenntnis der Moderne, Wien 1991

Der Text ist eine überarbeitete und gekürzte Fassung des Aufsatzes „Sie sehnen sich nach dem, was sie zerstört haben“, zuerst erschienen in „Ökofeminismus – Beiträge zur Praxis und Theorie“. Wir danken dem Rotpunktverlag Zürich für die freundliche Genehmigung.


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