Pflegenotstand

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2019, S. 3

Denkmal- und Landschaftspflege in Transsilvanien

Movile/Hunderbücheln: Von Land Grabbing bedrohte Landschaft mit Kirchenburg. (Foto: Paul Diehl)

In einem der landschaftlich vielfältigsten Täler Transsilvaniens, dem Harbachtal, liegt am Ende einer Sackstraße und versteckt hinter hundert Hügeln das schöne Dorf Hundertbücheln oder Movile, wie es in rumänischer Sprache genannt wird. Es ist wohl eines der letzten Dörfer der Europäischen Union, das auf Google Maps nicht zu finden ist, obwohl es nur 30 Kilometer von Schäßburg/Sighisoara, der weltbekannten Geburtsstadt des historischen Dracula, entfernt liegt. Zufällig kommt hier wohl niemand vorbei.

Einst war das Dorf von deutschen Siedlern, den Siebenbürger Sachsen gegründet worden. Mehr als 800 Jahre lang lebte und wirtschaftete diese Gemeinschaft von Siedlern in der Region, gründete Dörfer, Städte, Universitäten und baute die für die Landschaft typischen Kirchenburgen. Doch 1990/91, nach dem Ende des Ceausescu-Regimes, folgten mehr als 200.000 von ihnen fast geschlossen dem Ruf der Freiheit, gaben ihre alte Heimat auf und zogen zurück nach Deutschland. Zurück blieben nur wenige Deutschstämmige, die Höfe und Häuser wurden schon bald von Rumänen und Roma übernommen, die zum Großteil bis heute ihren Lebensunterhalt durch eine kleinbäuerliche Landwirtschaft verdienen. Mit der Auswanderungswelle ging einher, dass es vor Ort nun fast keine protestantischen Sachsen mehr gab und die von ihnen über Jahrhunderte gepflegten und genutzten Kirchenburgen, die Wahrzeichen und Landmarken eines jeden Dorfes dieser Gegend, mehr und mehr verfallen.

Nicht aus der Zeit gefallen

Als im Jahr 2015 eine Gruppe befreundeter internationaler Landschaftsarchitekten und -planer dieses einzigartige Dorf entdeckte, war es sofort um sie geschehen. Sie gründeten den gemeinnützigen Verein „Churchfortress e.V. – Friends of Hundertbücheln/Movile“ und beschlossen, die zukünftige Entwicklung des Dorfes mit Esprit und Know-how zu begleiten und die Idee der europäischen Wertegemeinschaft gerade in schwierigen Zeiten mit Leben zu erfüllen. Neben der Restaurierung der Kirchenburg als zentrales Bauwerk des Dorfes und weiterer denkmalgeschützter Häuser wollen sie zusammen mit der Dorfgemeinschaft auch eine Vision für eine nachhaltige und die Naturwerte achtende Zukunft entwickeln.

Die traditionelle Bewirtschaftung, geprägt durch die allgegenwärtigen Pferdefuhrwerke und Hirten mit ihren Schafherden, hat in Siebenbürgen und speziell um das Dorf Movile eine für Europa einzigartige Kulturlandschaft erhalten. Im Gegensatz zu weiten Teilen Europas konnte sich eine industrielle Landwirtschaft – unter intensivem Einsatz von Maschinen, Kunstdünger und Spritzmitteln – hier noch nicht durchsetzten. Für Besucher mag eine solche Landschaft auf den ersten Blick historisch erscheinen, doch sie ist nicht aus der Zeit gefallen.

Im Gegenteil: Hier gehen Natur, Tradition und Landnutzung Hand in Hand. Andere europäische Staaten betreiben einen großen Aufwand, um diese Art der Kulturlandschaft wiederherzustellen, die eine außergewöhnlich hohe Artenvielfalt aufweist und als Basis für eine nachhaltige Landwirtschaft und einen ökologischen Tourismus dienen kann.

Mit dem Eintritt Rumäniens in die Europäische Union im Jahr 2007 begann allerdings ein Umbruch, der inzwischen auch das Siebenbürger Hügelland erreicht hat. Ausländische Investoren vor allem aus Deutschland und Österreich kaufen Land mit fragwürdigen Methoden in großem Stil auf und setzen die Kleinbauern immer stärker unter Druck, die traditionelle Lebensweise aufzugeben. Immer mehr große Landwirtschaftsmaschinen pflügen immer größer werdende Felder um und zerstören die klein strukturierten Lebensräume. Hinzu kommen immer größere Mengen an industriellen Düngemitteln und Pestiziden, welche die Artenvielfalt rasant schwinden lassen. Neue Baumaterialien ersetzen die historischen und verändern das mittelalterliche Dorfbild Stück für Stück.

Durch das Engagement von Churchfortress e.V. können einige dieser Entwicklungen beeinflusst werden. Unter den Vereinsmitgliedern, die aus Deutschland, Großbritannien, Rumänien, Slowenien, Ungarn, Österreich und Frankreich kommen, haben viele ihren beruflichen Hintergrund in der Landespflege und versuchen, ihre ökologische, soziale und ästhetische Ausbildung zum Wohle von Hundertbücheln/Movile und weiterer Dörfern in Siebenbürgen einzusetzen.

Unterstützung nötig

Als Planerinnen und Planer sehen sie den besonderen Wert einer stimmigen und integrativen Landschaft und versuchen gemeinsam mit den Menschen vor Ort, das alltägliche Leben durch den Dreiklang von Architektur, Naturschutz und Freiraumplanung langfristig zu verbessern. Für jedes ihrer gemeinschaftlich organisierten Projekte ziehen sie weitere regionale und internationale Expertinnen und Experten hinzu. So versammelten sich in Movile in den letzten Jahren Sachkundige aus Handwerk, Denkmalschutz, Architektur, Ökologie, Landwirtschaft, Produktdesign, Regionalentwicklung, Kulturwissenschaften und lokalen Initiativen, um eine an die Bedürfnisse der Menschen angepasste Entwicklung des Lebensstandards in der jahrhundertealten Kulturlandschaft zu erreichen.

Allerdings ist das Kräfteverhältnis ungleich verteilt. Durch die enorme finanzielle Macht der wenigen Agrarfirmen sehen sich die ehrenamtlich im Verein Engagierten mit einer neuen Entwicklung konfrontiert, die ihnen Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Nur durch weitere finanzielle Unterstützung aus ganz Europa kann die für den Großteil der Menschen in der Region negative Entwicklung gebremst, einer der biologischen „Hotspots“ Europas erhalten und eine Trendumkehr erreicht werden. Deshalb bittet der Verein um Unterstützung.

Jonas Arndt

Weitere Informationen: www.churchfortress.org


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