Stadttauben – Wildtiere oder Haustiere?

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 4/5

Berlin ist auf der Suche nach einem tierschutzgerechten Umgang mit seinen Tauben

Stadttaube. (Foto: Albrecht Fietz/​Pixabay)

Die Stadttaube hat sich wie kaum eine andere Vogelart an die Lebensbedingungen des Menschen angepasst und ist ein besonders häufiger Kulturfolger in der Stadt. Schon früh haben Menschen damit begonnen, Tauben zu domestizieren, um ihr Fleisch und ihre Eier zu essen und ihren hervorragenden Orientierungssinn zu nutzen.

Aus der Wildform, der Felsentaube (Columba livia), die in offenen Landschaften vorkommt und sich bevorzugt von Hülsenfrüchten ernährt, entstand in 6.500 Jahren der Domestikation die Haustaube (Columba livia forma domestica). Zur Ernährung und durchaus auch als Freizeitbeschäftigung führte der Mensch die Züchtung der Haustaube fort, sodass in Deutschland heute 260 Taubenrassen mit ganz unterschiedlichen Merkmalen existieren.

In Berlin weit verbreitet

Der Zufall oder auch das vorsätzliche, vom Halter gewollte Aussetzen von Tauben führten dazu, dass sich Haustauben in unseren Siedlungen niederließen und nicht wieder zurück zu ihrem Taubenschlag flogen. Innerhalb weniger Generationen, mit Ergänzung durch weitere Haustauben, entstand die heutige Stadttaube.

In der Stadt finden Tauben hervorragende Bedingungen zum Leben, denn die Gebäude und Straßenschluchten dienen als Brutplätze, und in Form von Essensresten und Abfällen finden sie Nahrung. Vor allem die Ruinenlandschaften in den Städten nach dem Zweiten Weltkrieg und die Folgen der späteren Wohlstandsgesellschaft führten dazu, dass den kleinen Taubenbeständen, die früher zum typischen Stadtbild gehörten, eine Bestandsexplosion widerfuhr. Heute leben in Berlin schätzungsweise 12.000 bis 14.000 Brutpaare – zur Freude oder zum Leidwesen der Menschen.

Es kommt häufiger vor, dass Stadttauben mit Ringeltauben verwechselt werden. Stadttauben sind in ihrer äußeren Erscheinung sehr vielfältig, da immer neue „Flüchtlingstauben“ neue Farben und Gefiedervarianten einbringen. Die Ringeltaube (Columba palumbus) sieht dagegen immer gleich aus. Sowohl Kopf, Brust und Nacken als auch Flügel und Rücken sind hellgrau. Namensgebend ist der weiße Fleck um den Hals, der einem Ring ähnelt.

Keine „Ratten der Lüfte“

Oft führen die von Menschen angezüchteten Eigenschaften der Stadttaube zu Problemen in der Stadt. Stadttauben sind gesellig, sie kommen meist in großen Gruppen vor. Viele Menschen empfinden Stadttauben als lästig, vor allem durch den konzentrierten Kotanfall, das Gurren und das Flügelschlagen. Stadttauben werden auch als „fliegende Ratten“ bezeichnet, da man sie fälschlicherweise als Krankheitsüberträger wahrnimmt. Bei Sanierungen oder Neubauvorhaben werden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gebäude von Stadttauben freizuhalten. Vergrämungsmaßnahmen wie Netze oder Spikes führen jedoch immer wieder dazu, dass Tiere darin verenden.

Tierschutzrechtlich gesehen besteht eine staatliche Pflicht zum Schutz der Stadttaube. Das Grundgesetz verlangt vom Staat, „die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“ zu schützen. Noch konkreter heißt es in der Verfassung von Berlin: „Tiere sind als Lebewesen zu achten und vor vermeidbarem Leiden zu schützen.“ Daraus lässt sich ableiten, dass das Land Berlin grundsätzlich dazu verpflichtet ist, Leid von Stadttauben abzuwenden.

Stadttauben am Berliner Fernsehturm. (Foto: Bernd Marczak/​Pixabay)

Haustier oder Wildtier

Eine wichtige Frage für den Umgang mit der Stadttaube ist, ob sie als Haustier oder als Wildtier gelten soll. Aus beiden Definitionen ergeben sich unterschiedliche Anforderungen, aber auch Probleme. Die Senatsumweltverwaltung hat sich noch keine abschließende Meinung gebildet. Solange diese Entscheidung noch nicht getroffen ist, bewegen sich die Bezirke, die von Stadttauben Betroffenen wie auch die Stadttaubenfreunde in einem rechtlichen Graubereich.

Um zu verdeutlichen, welchen Unterschied die Einstufung der Stadttaube als Haus- oder Wildtier ausmacht, werden im Folgenden beide Szenarien so neutral wie möglich dargestellt.


Szenario Haustier

Das Land Berlin entscheidet sich, dass die Stadttaube als Haustier gilt.

Die Entscheidung trifft sie aufgrund folgender Begründungen:

  • Die Stadttaube ist ein domestiziertes Tier und somit immer ein Haustier.
  • Die Stadttaube kann sich nicht mit Wildtaubenarten paaren und genetisch mischen. Eine Verwilderung ist daher nicht möglich. Die genetischen Merkmale der Stadttaube entsprechen somit dem DNA-Muster von Haustaubenrassen und es ist keine Unterscheidung möglich.
  • Das typisch angezüchtete Verhalten (Lege- und Brutleistung, Orientierungssinn) geht auch nach mehreren Generationen nicht verloren.
  • Stadttauben sind nicht an das Leben in freier Wildbahn angepasst und können nur durch gewollte oder ungewollte menschliche Unterstützung überleben (Siedlungsstruktur, Nahrungsangebot).
  • Bei der Stadttaube handelt es sich um ein ausgesetztes oder entflohenes Tier oder deren Nachkommen, sie ist daher rechtlich eine Fundsache.

Folgen: Neben den Tierschutzgesetzen ist vor allem die Einstufung als Fundsache ausschlaggebend für die staatliche Pflicht zum Schutz der Stadttaube. Hiernach sind ausgesetzte oder entflohene Tiere und deren Nachkommen durch eine Kommune in Obhut zu nehmen, solange der Halter nicht ausfindig gemacht werden kann. Das Land Berlin ist danach der vorübergehende Halter und zur Erfüllung der Halterpflichten bestimmt – insbesondere Fütterung, Pflege und tierärztliche Versorgung. Dieser Verpflichtung kann das Land Berlin durch ein professionelles Taubenmonitoring beziehungsweise -management gerecht werden. Als Mittel zur Erfüllung dieser Pflicht wäre das Modell der betreuten Taubenschläge denkbar. Das sogenannte Aachener oder Augsburger Modell hat sich bereits in mehreren Kommunen bewährt.

Besitzer:innen bereits bestehender Taubenschläge würden mit der Einstufung der Stadttaube als Haustier automatisch zur entsprechenden Halter:in werden.


Szenario Wildtier

Das Land Berlin entscheidet sich, dass die Stadttaube als Wildtier gilt.

Die Entscheidung trifft sie aufgrund folgender Begründungen:

  • Die Stadttaube ist ein freilebendes und vom Menschen unabhängiges Tier geworden. Sowohl Nahrungsangebote als auch Brutplätze werden von ihr eigenständig erschlossen, so wie es auch andere wildlebende Tierarten tun, etwa Nebelkrähen oder Haussperlinge. Stadttauben sind somit wildlebende Tiere, ungeachtet ihres Ursprungs als Haustier.
  • Auch die Straßentauben unterliegen einer natürlichen Selektion. Durch Konkurrenz um Nahrung und Brutplätze sowie durch Prädation durch Greifvögel wird der Bestand vital gehalten und nur die bestandsangepassten Individuen geben durch Fortpflanzung ihre Gene weiter. Stadttaubenbestände können daher verwildern und typisch angezüchtete Verhaltensweisen verlieren.
  • Bei Stadttauben handelt es sich meist um die Nachkommen des ursprünglich ausgesetzten oder entflohenen Tieres. Eine Stadttaube ist keineswegs mehr einer bestimmten Halter:in zuzuordnen. Das Tier ist somit herrenlos.

Folgen: Über das Tierschutzgesetz hinaus ergibt sich aufgrund der Einstufung als Wildtier der allgemeine und besondere Artenschutz gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz für die Stadttaube. Hiernach wäre die Stadttaube wie auch alle anderen europäischen Vogelarten geschützt.

Trotz dieses Schutzes kommt der Kommune keine allgemeine staatliche Pflicht zum Schutz der Tauben wie etwa zur Fütterung, Pflege und tierärztlichen Versorgung zu. Es ergibt sich also keine Halterpflicht und folglich auch keine rechtliche Verpflichtung zur Einführung eines professionellen Taubenmonitorings oder -managements. Die Stadttauben sind ähnlich zu behandeln wie entkommene Tiere, deren Besitzer:in das Eigentum aufgegeben hat. Sie sind damit nicht automatisch im vorübergehenden Besitz des Landes Berlin.

Auch bestehende Taubenschläge führen nicht automatisch zu einem Status als Halter:in der Stadttauben.

Die Stadttaube hätte dann den gleichen Status wie andere wildlebende Tiere in der Stadt.


Betreute Taubenschläge

Im rot-grün-roten Berliner Koalitionsvertrag wurde 2021 als Ziel formuliert: „Das Land Berlin wird ein Konzept erarbeiten und umsetzen, das unter anderem betreute Taubenschläge beinhaltet, welche mit den Bezirken und Tierschutzvereinen etabliert werden sollen.“ Die Population der Stadttauben und sich daraus ergebende Mensch-Tier-Konflikte wie die Verschmutzung durch Taubenkot oder das Brüten auf Balkonen sollen dadurch minimiert werden.

Ob dieses Ziel durch die Bereitstellung von Taubenschlägen erreicht werden kann, ist umstritten. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass zu den begrenzenden Faktoren für die Stadttaubenpopulation das Nahrungsangebot sowie die Fortpflanzungs- und Ruhestätten zählen. Stellen wir durch betreute Taubenschläge also mehr davon bereit, führt das zu einer steigenden Stadttaubenpopulation. Solche Taubenschläge können nur funktionieren, wenn die umliegenden Nistplätze konsequent und fachgerecht verschlossen werden und die Fütterung außerhalb des Taubenschlages unterlassen wird. Beides wird in der Praxis nur schwer umsetzbar sein.

Stadttauben sind aus Haustauben entstanden. (Foto: Manfred Richter/​Pixabay)

Entwurf für ein Taubenmanagement

Inzwischen liegt ein erster Entwurf für das zukünftige Taubenmanagement in Berlin vor. Ein neues Konzept soll das Konfliktpotential reduzieren und mehr Tierschutz gewährleisten. In den nächsten Jahren sollen dazu Pilotprojekte in einzelnen Berliner Bezirken durchgeführt und fachlich bewertet werden. Fünf Maßnahmen sollen zur Verbesserung der Situation führen:

  • Information der Bevölkerung über einen tierschutzgerechten Umgang mit Stadttauben. Dazu gehören eine Plakatkampagne und ein Internetauftritt, die über artgerechtes Futter und tierschutzgerechte Vergrämungsmaßnahmen informieren.
  • Benennung von bezirklichen Ansprechpersonen. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem die Planung und Einrichtung von Taubenschlägen und deren Beobachtung und Betreuung. Sie fungieren als Schnittstelle zwischen Tierschutzvereinen und -initiativen und den bezirklichen Veterinär-, Ordnungs-, Straßen- und Grünflächenämtern.
  • Nachdem geeignete Orte für Taubenschläge gefunden wurden, sollen sie errichtet und dann auch betreut werden. Die Betreuung umfasst das artgerechte Füttern und das Austauschen der Eier durch Gipsattrappen.
  • Ein wichtiger Schritt sind tierschutzgerechte Vergrämungsmaßnahmen – also keine spitzen Spikes, an denen sich Tauben verletzen, oder Netze, in denen sie sich verfangen können. Zudem sollen schwer erreichbare Nistplätze an Gebäuden fachgerecht verschlossen werden. Zu den widerrechtlichen Vergrämungsmaßnahmen zählen neben spitzen Spikes auch Klebepasten und nicht fachgerecht angebrachte oder gewartete Netze.
  • Auch tierschutzgerechtes Bauen wird gefordert. Dazu zählt der Ersatz für wegfallende Stadttauben-Brutplätze. Der Vogelschlag – vor allem durch Glasscheiben, gegen die die Tiere fliegen – soll reduziert werden.

Es bleibt abzuwarten, wie die Bezirke auf den Berliner Taubenmanagement-Entwurf reagieren und wie sich eventuelle Maßnahmen auf die Gesundheit und den Bestand der Berliner Stadttauben auswirken werden. In jedem Fall ist eine schnelle Entscheidung dringend anzuraten, und das nicht nur im Interesse von uns Menschen.

Julia Bensch, Alexander Rümpel, Doreen Hantuschke

Beitrag aus: „UmweltBewusst“, www.umweltbuero-lichtenberg.de
Weitere Informationen:
www.berlin.de/suche/?q=Stadttauben
www.taubenmanagement-berlin.de

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