Polizei statt Politik

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2023, Seite 2

Wuhlheide: Neuer Senat verhindert klima- und verkehrspolitische Debatte

Protest an Parteizentralen hat bisher auch nichts genutzt. (Foto: Sylvester Kaben)

Offenbar ohne Ankündigung und ohne ein politisches Gespräch hat die Berliner Polizei im Mai ein Protestcamp in der Wuhlheide geräumt. Das Camp richtete sich gegen den Bau der „Tangentialen Verbindung Ost“ (TVO) und die dafür geplante Abholzung in dem Waldgebiet im Bezirk Treptow-Köpenick.

Die TVO soll eine neue Straßenverbindung von Biesdorf in Fortsetzung der Märkischen Allee entlang des Eisenbahn-Außenrings bis zur Spindlersfelder Brücke in Köpenick werden. Der geplante 6,4 Kilometer lange Straßenabschnitt führt durch die Wuhlheide, von der Teile gerodet werden sollen (Rabe Ralf April 2021, S. 12). Die TVO gilt als zweitteuerstes Straßenbauprojekt Berlins nach dem A100-Ausbau. Nachdem das Waldstück Mitte Mai von einer Aktionsgruppe besetzt wurde, hatten sich noch am selben Tag mehrere hundert Menschen zu einer Unterstützungskundgebung versammelt. Zwei Tage später erfolgte der Polizeieinsatz.

„Nicht extremistisch, sondern notwendig“

Berliner Umweltverbände und Klimagruppen protestierten gegen die Räumung. „Vertreterinnen und Vertreter der neuen schwarz-roten Koalition sprechen viel von einem neuen Miteinander, das sie in Berlin etablieren wollen“, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser. „Das Abräumen von Widerstand gegen den geplanten Bau der neuen Hochleistungsstraße TVO durch ein Camp in der Wuhlheide spricht eine andere Sprache.“

Fridays for Future Berlin solidarisierte sich ausdrücklich mit der Besetzung. „Aufgabe der Berliner Regierung sollte es sein, Klimagerechtigkeit zur obersten Priorität zu machen, stattdessen werden KlimaaktivistInnen kriminalisiert und friedlicher, angemeldeter Protest unterbunden“, sagte die Berliner Fridays-Aktivistin Maya Winkler. Die Lebensgrundlagen zu sichern, während die Verantwortlichen dies unterließen, sei „nicht extremistisch, sondern notwendig“.

Plan aus den sechziger Jahren

Das TVO-Projekt sei anachronistisch, vernichte 15 Hektar Wald und zerschneide ein beliebtes Natur- und Erholungsgebiet im Osten Berlins, sagte Antonio Rohrßen von der Klimaliste Berlin. „So ein dämlicher Plan aus den sechziger Jahren darf mit dem heutigen Wissen über die Klima- und Biodiversitätskrise nicht realisiert werden.“ Rohrßen kritisierte auch den neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Eine Politik, wie sie sich am Beispiel der Wuhlheide abzeichne, sei nicht in die Zukunft gerichtet.

Tilmann Heuser vom BUND kritisierte, dass es zuvor keine inhaltliche Auseinandersetzung über die Notwendigkeit der TVO gegeben habe. Angesichts der Klimakrise und der ausbleibenden Verkehrswende sei der Bau solcher Straßen nicht mehr vertretbar, doch „statt darüber zu sprechen, will die neue Koalition offenbar den Widerstand einfach aus dem Stadtbild verschwinden lassen“, so Heuser.

„Der Bau der TVO nimmt die Neuversieglung und den Verlust von CO₂-Speicherkapazitäten billigend in Kauf, obwohl bekannt ist, dass besonders der fossil betriebene Individualverkehr die Klimakrise verschärft“, sagte Claudia Kapfer, Geschäftsführerin der Grünen Liga Berlin. „Statt einen Kulturwandel zu öffentlicher gemeinschaftlicher Mobilität zu fördern, wird eine rückwärtsgewandte Verkehrs- und Straßenbaupolitik wieder salonfähig.“

Kritik an Präventivhaft-Plänen

Der BUND Berlin wendet sich auch gegen die geplanten Verschärfungen im Polizeirecht. „Die Begeisterung von Politikerinnen und Politikern von CDU und SPD für eine Verlängerung der Präventivhaft auf fünf Tage in Berlin spricht eine deutliche Sprache“, sagte Geschäftsführer Heuser. Präventivhaft sei jedoch zur Verhinderung schwerster Straftaten gedacht. „Dies gegen Protestformen anwenden zu wollen, die vielleicht lästig sind, aber keine erhebliche Gefahr darstellen, sprengt den Rahmen der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit.“

Die Besetzung gehörte zum bundesweiten Netzwerk „Wald statt Asphalt“, das sich gegen neue Straßen und fossilen Verkehr und für Klimagerechtigkeit einsetzt. Zu den Forderungen für Berlin gehören ein Bau- und Planungsstopp für die TVO und auch für die Verlängerung der Stadtautobahn A100, außerdem die Umwandlung von Straßen in sichere Fuß- und Radverkehrswege sowie ein guter und kostenloser öffentlicher Nahverkehr.

„Der neue Senat muss die Sorgen der BaumbesetzerInnen, der Letzten Generation und aller Aktiven für Umwelt- und Klimaschutz endlich ernst nehmen“, fordert Claudia Kapfer von der Grünen Liga Berlin. „Jeder Meter und jeder Baum zählt.“

Benjamin Sommer

Weitere Informationen:
www.bund-berlin.de/tvo
www.wald-statt-asphalt.net

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