Vom Grundnahrungsmittel zur Delikatesse

Aus DER RABE RALF Februar/März 2018, Seite 5

Die Ess-Kastanie ist Baum des Jahres 2018

Vor zwei Monaten dufteten sie über die Weihnachtsmärkte, die Maronen. Da war die Ess- oder Edel-Kastanie, deren Früchte meist als Maronen oder Maroni verkauft werden, gerade vom Kuratorium „Baum des Jahres“ zum dreißigsten Baum des Jahres gekürt worden.

Die heute als Delikatesse geltende Nuss wurde lange als „Brot der Armen“ verschmäht. Das begann zum Ende des Mittelalters, als die Edel-Kastanie verstärkt zur Ernährung der arbeitenden Bevölkerung verwendet wurde. Die oberen Schichten wollten mit dem meist aus den Früchten gemachten Brot nichts zu tun haben, da es unter anderem als schlecht für die Verdauung galt. Mit der Einführung der Kartoffel verschwand die Edel-Kastanie dann vollständig aus der alltäglichen Ernährung.

Die Geschichte des Anbaus der Castanea sativa begann jedoch schon in der frühen Antike. Seit etwa 2800 Jahren wird der Baum gezielt angepflanzt, um seine Früchte zu ernten und das Holz zu verwenden. Auch die Blätter wurden, etwa als Tee gegen Verdauungsbeschwerden, verwendet. Die Griechen und später die Römer bauten die Edel-Kastanie intensiv an, einige der Haine werden auch heute noch bewirtschaftet. Die Griechen nannten sie „Kastana“ – entlehnt von den Armeniern, die ihr den Namen „Kask“ gegeben hatten. Mit den Römern kam die Ess-Kastanie über die Alpen und bis nach Großbritannien. Da die Früchte nur bei ausreichend Wärme gedeihen, wurden und werden die Bäume vor allem in den Weinanbaugebieten oberhalb der Hänge angepflanzt.

Eine von vielen frei stehenden Edelkastanien in Südtirol. Foto: Wolfgang Moroder

Veredelte Edel-Kastanien

Für eine möglichst große Ausbeute an Früchten wurden die Bäume in sogenannten Selven angepflanzt. In diesen Pflanzungen wurden junge Edel-Kastanien abgeschnitten und andere Sorten aufgepfropft. Die so veredelten niedrigen Bäume mit breiter Krone waren sehr ertragreich. Heute sind die meisten Selven verwildert oder umfunktioniert.

In einigen Regionen wie an den Taunushängen bei Frankfurt am Main waren die Ernten so ergiebig, dass ein großer Teil exportiert werden konnte. Auch Goethe erhielt von seiner Mutter jedes Jahr eine Kiste Kastanien von einem der Haine. Er beschrieb die Früchte in einem Gedicht:

An vollen Büschelzweigen,
Geliebte, sieh nur hin!
Lass dir die Früchte zeigen,
Umschalet stachlig grün.

Sie hängen längst geballet,
Still, unbekannt mit sich,
Ein Ast, der schaukelnd wallet,
Wiegt sie geduldiglich.

Doch immer reift von innen
Und schwillt der braune Kern,
Er möchte Luft gewinnen
Und säh die Sonne gern.

Die Schale platzt und nieder
Macht er sich freudig los;
So fallen meine Lieder
Gehäuft in deinen Schoß.

Neben den Früchten lässt sich das Holz nutzen. Das biegsame Holz eignet sich unter anderem zum Bauen und für wetterbeständige Möbel. Vor allem aber wurden daraus Dauben für die Fassproduktion gemacht, besonders für Weinfässer. Aufgrund der räumlichen Nähe wurde das Holz auch häufig für die Rebstöcke verwendet. Hierzu fällte man die Bäume und ließ aus dem Stumpf neue Triebe wachsen. Diese Bäume tragen jedoch deutlich weniger Früchte. Das nicht als Baumaterial taugende Holz spielte wegen des hohen Gerbstoffanteils in Gerbereien eine große Rolle. In einigen Regionen Südeuropas wurde die Edel-Kastanie sogar gezielt zur Gerbstoffgewinnung angepflanzt.

Muss nur noch gebraten werden: Reife Frucht der Edelkastanie im Herbst. Foto: Böhringer Friedrich

Kastanie ist nicht gleich Kastanie

Nichts gemein hat die Edel-Kastanie mit der zu den Seifenbaumgewächsen gehörenden Rosskastanie, denn sie gehört, wie auch die Eiche, zu den Buchengewächsen. Zur Unterscheidung der beiden so verschiedenen Baumarten wird die Edel- oder Ess-Kastanie botanisch korrekt mit einem Bindestrich geschrieben.

Verwechseln kann man die Bäume jedoch nicht. Die Edel-Kastanie hat dickere, gezackte, bis zu 25 Zentimeter lange Blätter, die auch nicht von der Miniermotte angegriffen werden, während die Rosskastanie mit ihren dünnen, glatten Blättern oft schon im Sommer teils erhebliche Schäden aufweist. Wer schöne Blüten mag, wird an Edel-Kastanien jedoch keine Freude haben. Während die Rosskastanien mit ihren großen Blüten weit leuchten, sind die Blüten der Edel-Kastanie eher haselnussähnlich, jedoch ohne Pollenstaubwolken.

Die Früchte hingegen führten zur Namensgleichheit der Baumarten. Obwohl es sich bei der Edel-Kastanie um eine Nussfrucht handelt und bei der Rosskastanie nicht, sehen die Früchte durch die braune Schale um den Samen im Inneren einander zum Verwechseln ähnlich. Nur der erst kurz vor oder nach dem Ablösen der Frucht braun werdende Fruchtbecher macht die Früchte in diesem Zustand gut unterscheidbar: Die Rosskastanie hat wenige, dicke Stacheln, die Edel-Kastanie hingegen sehr viele dünne.

Dicker Baum mit Zukunft

Einige Forstwissenschaftler sehen für die Edel-Kastanie eine große Zukunft. Viele der heutigen Wirtschaftsbäume kommen mit den steigenden Temperaturen nicht gut klar. Da kommt der aus den Subtropen stammende Baum gerade recht. In ersten Untersuchungen wollen die Wissenschaftler feststellen, ob sich der Baum auch in dichten Wäldern pflanzen und wirtschaftlich nutzen lässt.

Lässt man sie hingegen in Ruhe wachsen, können Edel-Kastanien zu den dicksten Bäumen der Welt werden. In Deutschland steht die zurzeit dickste Edel-Kastanie mit einem Stammumfang von fast zehn Metern im Karlsruher Schlossgarten. Die höchste wächst mit 40 Metern im Stadtwald von Hameln. Die weltweit dickste Edelkastanie und zugleich auch der Baum mit dem größten Stammumfang überhaupt steht in Sizilien in der Nähe des Ätna. Der mindestens zweitausend Jahre alte Baum besteht mittlerweile aus mehreren Teilen, wobei der größte einen Umfang von 22 Metern hat. Gentests sollen aber bestätigt haben, dass alle Teile zu ein und demselben Baum gehören. Seinen maximalen Umfang von fast 60 Metern hat der Baum wohl im Jahr 1780 gehabt, damals jedoch auch schon hohl und mit einer alten Hütte im Inneren.

Einer Legende zufolge soll die Königin von Aragón einmal bei einem Unwetter mitsamt ihrem Gefolge unter dem Baum Unterschlupf gefunden haben.

Leonhard Lenz

NABU-Veranstaltung zur Ess-Kastanie: Dienstag, 27. März 2018, 18:30 Uhr, Wollankstraße 4, 13187 Berlin-Pankow (S1 Wollankstraße)


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