Lieben und geliebt werden – Harte DM für sanfte Hände

Aus DER RABE RALF Juni 1996

Neben den kolonisierten, exotischen Ländern und der „kolonisierten“ Natur, dem Land, der Landschaft, sind die Frauen, insbesondere der Frauenkörper, der dritte Ort, auf den sich die Sehnsüchte der modernen Menschen, genauer hier der Männer, richten. Hier läßt sich vielleicht genauer zeigen, was die Zerstörung des Naturzusammenhangs und die Sehnsucht nach eben diesem Naturzusammenhang verbindet.

Zunächst einige Beispiele, in denen sich diese Verbindung äußert.

Männer und Weiber – Damen und Herren

Was die Geschichte betrifft, so sei hier kurz auf die Tötung und Folterung von Frauen in der europäischen Hexenverfolgung hingewiesen, die zur gleichen Zeit wie die kolonialen Eroberungen sowie die Unterwerfung der Natur durch Wissenschaft und Technik stattfand. Nach dieser Orgie der Gewalt gegen Frauen, die bis in die Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert anhielt1, finden wir sehr schnell die Sehnsucht nach dem „Weiblichen“, die Romantisierung und Sentimentalisierung der Frau im 18. und 19. Jahrhundert. Daß die wirklichen Frauen – „die Weiber“ – erst mit Gewalt den neuen Herrschenden, den Bürgermännern, untergeordnet werden mußten, ehe diese ein neues Weiblichkeitsbild schaffen konnten, auf das sich ihre Sehnsüchte richten konnten – dieser merkwürdige Widerspruch kennzeichnet bis heute das moderne Verhältnis von Männern und Frauen bei uns.

Bilder von Frauenkörperteilen

Das deutlichste Beispiel für den Zusammenhang zwischen Gewalt und Sehnsucht ist die Pornographie. Viele Männer sind nicht imstande, eine ganze, wirklich lebendige Frau zu lieben; sie brauchen ein Bild von einem Frauenkörper, auf das sie ihre Sehnsucht richten können. Aber noch selbst diese Bilder widerspiegeln oft einen Gewaltakt, eine Zerstückelung der Ganzheit, indem sich das Begehren nur auf Teile des Frauenkörpers richtet, einen Oberschenkel, eine Brust, das Gesäß – vor allem möglichst ohne Kopf.2 Von diesem Blick, der Gewalt und Sehnsucht zusammenzwingt, lebt ein bedeutender Teil der Werbeindustrie, und mit ihr die Flut der Magazine, die Bildmedien wie Fernsehen, Film und die Video-Industrie.

Wie bei der Sehnsucht nach der Natur ist die Sehnsucht nach den Bildern nackter Frauenkörper eine rein auf Konsum ausgerichtete, voyeurhafte Sehnsucht, die sich im Prinzip auf tote Körperteile richtet. Denn das Leben, das sich der Betrachter da anzueignen sucht, ist offenbar nur als totes Bild, als Vorstellung erträglich. Nicht die wirkliche Frau ist attraktiv, sondern nur Bilder von Frauenkörperteilen. (Diese „Leichenhaftigkeit“ der Pornographie entspricht freilich – darauf wird noch einzugehen sein – der Leichenhaftigkeit der Waren in der Industriegesellschaft insgesamt.) Dabei nimmt aber die psychische Tätigkeit, die zur Herstellung innerer Bilder notwendig ist, offensichtlich auch immer mehr ab. Denn das würde ja noch Eigentätigkeit bedeuten. Es geht eigentlich nur noch um ein einfaches optisches Reiz-Reaktions-Schema, bei dem auch keine Beziehung zur eigenen Person mehr besteht.

Rent a Love Story

Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang von Sehnsucht und Gewalt ist der Prostitutionstourismus. Dabei ist nicht nur die Frau Ziel der Sehnsucht, sondern vor allem die exotische Frau, die nicht-weiße Frau, die wegen ihrer Armut und Unterentwicklung dem weißen Mann dankbar sein muß daß er ihr etwas Geld gibt oder sie gar heiratet. Hier trifft die Sehnsucht nach der unterworfenen Frau mit der nach dem „guten Wilden“3, dem Naturmenschen, zusammen. Auch hier handelt es sich um kein liebendes, kreatives, produktives, sondern um ein Konsumenten-Verhältnis. Die „Ware Liebe“ hängt dabei von der Kaufkraft der DM, des Yen, des Dollars in den Taschen der Männer ab, die die „Sex-Paradiese“ in Südostasien und Afrika bereisen. Diese Kaufkraft macht es möglich, daß auch einfache deutsche Arbeiter und Angestellte sich einmal wie „Herrenmenschen“4 aufführen können. Auf genau diesem Herr-Magd-Gefälle beruht die Attraktivität des Sextourismus.

So berichtet die Psychologin Berti Latza, daß deutsche Männer in Thailand den Prostituierten befehlen, ihr Zimmer zu putzen und sie den ganzen Tag zu füttern. Sex und Liebe sind oft sogar zweitrangig. Die Kunden wollen vor allem Macht ausüben.

Diese Sehnsucht nach unterwürfigen Sklavinnen gehört jedoch noch in das übliche Schema der Herrschaft über Natur, Frauen und fremde Völker. Viel interessanter ist die Kehrseite dieses Verhältnisses. Diese wird ebenfalls an den Prostitutionstouristen deutlich. Unter ihnen gibt es nämlich nach Berti Latza noch einen zweiten Typ – die Regressiven, die ins frühkindliche Stadium zurückkehren wollen. Sie verlangen, daß die Prostituierten sie waschen, füttern und verwöhnen. „Sie verfallen sogar in die Babysprache und würden am liebsten noch aufs Klo getragen werden.“5 In dieser Regression zeigt sich, daß im Sextourismus noch mehr gesucht wird als das Herrenmenschen-Leitbild: Hier wird all das gesucht, was aus dem Männerbild, aus der Männerwirklichkeit in den Industrieländern ausgeschlossen, verleugnet und herabgewürdigt wird. Um sich wieder „ganz“ zu fühlen, reisen diese Männer um den halben Erdball und lassen sich von einer bezahlten armen Frau wie ein Baby behandeln…

Nachgewiesenermaßen ist ein großer Teil der Sextouristen überhaupt unfähig zu einer menschlichen Liebesbeziehung zu einer wirklichen, erwachsenen Frau, die ihnen nicht unterlegen ist. Die Ursachen für Prostitutionstourismus und Frauenhandel sind nicht nur Armut und Unterentwicklung oder bestimmte gesellschaftliche Traditionen in den „Kolonien“, sondern es muß vor allem gefragt werden, was eigentlich mit den europäischen, amerikanischen, japanischen Männern los ist. Warum begehren sie plötzlich die exotischen Frauen, die sie ja ansonsten verachten? Was ist der eigentliche Inhalt dieser Sehnsucht? Warum erwarten sie ausgerechnet von einer armen, fremden, abhängigen Frau, daß sie ihnen Glück, Leben, Ganzheit, Ekstase gibt?

Sex – letzter Zugang zur Natur?

Wenn wir uns nicht mit oberflächlichen Erklärungen wie Entfremdung, DM-Kaufkraft, Tourismus begnügen wollen, müssen wir fragen was Sexualität und Erotik überhaupt für die Männer der Industriegesellschaft bedeuten. Im Sextourismus wird der deutlich, was für ein Verhältnis Männer in den „fortschrittlichen“ Industrieländern zu sich selbst, zur Natur und zu anderen Menschen haben. Der Idealtyp Mann hat hier während des größten Teils seines Lebens – während seiner Arbeits- und Konsumzeit – kaum noch unmittelbaren körperlichen Kontakt zur Natur, zur Erde, zu Pflanzen, Tieren, den Elementen. Zwischen ihn und diese Natur sind Maschinen als „Distanzwaffen“ geschoben, mit denen er diese Natur bearbeitet, seinen Plänen unterwirft und dabei zerstört. Mit der Weiterentwicklung des technischen „Fortschritts“ wird diese Distanz immer größer, immer abstrakter wird das Verhältnis zur Natur, immer fremder wird dem Mann sein eigener organischer sterblicher Körper, der dennoch – und das ist die Grenze, an die er stößt – die Quelle aller Gefühle von Glück und Genuß bleibt. Je mehr Maschinen der zivilisierte Mann zwischen sich und die Natur schiebt, je mehr er die Natur nur als Zerstückelte, Ausgebeutete, Unterworfene wahrnehmen kann, um so größer wird sein Hunger nach der ursprünglichen, wilden, ganzen Natur. Und das gleiche gilt auch für das Verhältnis Mann-Frau.

Die Befriedigung dieses Hungers, dieser Sehnsucht scheint lebensnotwendig zu sein, trotz aller Faszination, die Maschinen meist für Männer haben. Ich stimme Roger Garaudy zu, wenn er sagt:

„Der sexuelle Akt ist zum nächstliegenden und fast einzigen Kontakt mit der Natur geworden, der uns noch zugänglich ist. Ein Bruch ist entstanden zwischen einem Alltag im Rhythmus von Produktion, Konsum und Fernsehen und einem meist von allen sonstigen Dimensionen des Lebens abgekoppelten sexuellen Akt, der entweder selbst wieder ins Netz von Konsum und wirtschaftlicher Ausnutzung gerät oder aber als ein dem Leben äußerliches Heiligtum zur Zuflucht wird.“6

Die steigende Sucht nach Sex ist meines Erachtens eine direkte Folge der in der Arbeit nicht mehr erfahrbaren sinnlichen Wechselbeziehung zur Natur. Dadurch wurde Sexualität zum „Himmel“, der nach dem irdischen Jammertal der Arbeit kommen soll, zur Quintessenz der „Freizeit“. Das ist der tiefere Grund für die Kombination Urlaub, Sonne, Sex.

Die Tragik besteht allerdings darin, daß auch dieser Himmel ein gekaufter ist, eine Ware, und daß die erhoffte Wildheit, Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Freiheit, Ganzheit sich meist schnell als billiger Schein entpuppen. Darum hält, wie bei anderen waren, die Befriedigung immer kürzer an. Aus dem Bedürfnis wird die Sucht.7

Maria Mies

1 A. Dross: Die erste Walpurgisnacht – Hexenverfolgung in Deutschland, Frankfurt 1978

2 Andrea Dworkin: Pornography – Men Possessing Women, New York 1987

3 Karl-Heinz Kohl: Entzauberter Blick – Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Berlin 1981

4 Martha Mamozai: Herrenmenschen – Frauen im deutschen Kolonialismus, rororo Hamburg 1984

5 Berti Latza: Most Sex-Tourists have Psychological Problems, Bangkok Post 6.3.86

6 Roger Garaudy: Das schwache Geschlecht ist unsere Stärke, dtv München 1985

7 Than-Dam Truong: Sex, Money and Morality – Prostitution and Tourism in South-East Asia, London 1990


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