Hermann Scheer

„Umweltschützer gehören nicht aufs diplomatische Parkett“

Warum die Umweltbewegung nur verlieren kann, wenn sie Einzelinteressen bedient, sich zu stark an Regierungen bindet oder auf Umweltgipfel vertraut

Hermann Scheer liebt es offensichtlich, Diskussionen gegen den Strich zu bürsten. Immer wieder kann man das auf Podiumsdiskussionen erleben. Der 57-Jährige ist ein „pragmatischer Anarchist“ und gehört inzwischen zu den linken Leuchttürmen in der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 1988 kämpft er als Initiator und ehrenamtlicher Präsident der europäischen Sonnenenergie-Vereinigung EUROSOLAR für die Durchsetzung erneuerbarer Energien, vor allem der Solarkraft. 1988 erhielt er dafür den Alternativen Nobelpreis. Mit ihm sprach Nick Reimer, bis 1994 Pressesprecher der GRÜNEN LIGA, heute freier Journalist u.a. für die „taz“.

Frage: „Die Umweltbewegung ist tot, lang lebe die Spaßgesellschaft.“ Wie finden Sie diesen Satz, Herr Scheer?

Hermann Scheer: Das allgemeine Verständnis von „Bewegung“ ist sehr oberflächlich. Es sagt: Bewegung ist dann, wenn es Massendemonstrationen gibt. Bewegung ist aber auch, wenn viele Menschen gleichzeitig etwas bewegt. Unglaublich viele in unserer Gesellschaft engagieren sich auf unspektakuläre Weise, nach außen wenig sichtbar. Bei der Umweltbewegung denkt man immer an das Erste. Das ist aber eine verkürzte Sicht.

Zumindest vor zehn, fünfzehn Jahren haben Massenaktionen Erscheinungsbild und Charakter der Umweltbewegung geprägt.

Das stimmt sicherlich. Es war die Zeit, in der die großen „Neins“ formuliert wurden: Nein zur Atomkraft, Nein zur Dünnsäureverklappung, Nein zur Müllflut. Klar ist aber, dass sich eine derart organisierte Massenbewegung nicht über Jahrzehnte aufrecht erhalten lässt. Viele Initiativen sind eingeschlafen, weil man ehrenamtliche Arbeit nicht zehn Jahre lang mit gleicher Intensität betreiben kann.

Aber es gibt doch heute noch große Nein-Probleme, die diese Organisiertheit eigentlich erfordert?

Natürlich. Das ganze konventionelle Energiesystem ist ein Nein-Fall. Die chemische Industrie verlangt, so wie sie heute läuft, ein klares Nein. Sanken nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation überall die Rüstungsetats, erleben wir heute, wie sie wieder steigen. Die NATO fühlt sich inzwischen überall bedroht. Sie vereint 60 Prozent aller Rüstung weltweit. Welch eine Fehllenkung von Ressourcen, mit so mieser Begründung! Ein klassischer Nein-Fall.

Warum gibt es dann aber die Nein-Bewegung nicht mehr?

Nein-Bewegungen funktionieren auf Dauer nicht. Wir haben doch heute folgendes Problem: Jeder weiß, was los ist. Gleichzeitig hört aber jeder täglich von denen, die für die Probleme verantwortlich sind, es gebe keine Alternative. Wer das glaubt, kann nur zu dem Schluss kommen, die Probleme sind tatsächlich nicht lösbar. Wie kann man aber erwarten, dass sich Leute in einer Frage engagieren, die als nicht als lösbar gilt? Menschen engagieren sich nur für eine Perspektive. „There is no alternative“, hat Margret Thatcher einmal gesagt. Das ist psychologisches Dumping zur Entmündigung von Menschen! Alternativen müssen aufgezeigt werden – so konkret es irgend geht. Dass heute diese Alternativen von zu wenigen offensiv formuliert werden, liegt am verloren gegangenen Selbstbewusstsein der Umweltbewegung. Sie traut sich nicht mehr zu, umfassende Alternativkonzepte zu entwickeln.

Woran könnte das liegen?

Natürlich gibt es da einen Zusammenhang zu Margret Thatchers Satz. Die klassische Ökobewegung ist an eine rhetorische Grenze gestoßen. Es gibt heute eine Fülle von Literatur, die die ökologischen Krisen mit all ihren negativen Wirkungen beschreibt. Viele Leute haben aber die Nase voll, immer nur mit Krisen konfrontiert zu werden. Wenn die Umweltbewegung die Katastrophen immer nur beschreibt, ohne überzeugende Lösungen anzubieten, lässt sie die Leute mit den Katastrophen allein.

Warum gelingt es der Ökobewegung nicht, Lösungen anzubieten?

Auf ein überlebensgroß erscheinendes Problem kann man nicht mit Klein-Klein antworten. Aber genau darauf beschränken sich heute viele. Sie backen zu kleine Brötchen. Zudem hat sich Umweltbewegung zu sehr spezialisiert. Die Schwerpunkte sind technisch und technologisch anspruchsvoller und detaillierter geworden – aber die große Perspektive wird zu wenig artikuliert.

Was ist denn falsch an gebündeltem Sachverstand?

Sicherlich muss man vielen Problemen mit Expertenwissen begegnen. Wer Alternativen präsentieren will, braucht auch ein technisches Grundverständnis, um den Argumenten, warum etwas nicht gehen soll, qualifiziert widersprechen zu können. Man darf aber durch die Spezialisierung nicht die Gesamtdimension – den Zusammenhang – aus den Augen verlieren. Genau das passiert aber heute.

Wie hat sich die grüne Regierungsbeteiligung auf die Umweltbewegung ausgewirkt?

Nicht so wie in Amerika. Dort haben die Umweltverbände in der Clinton-Gore-Zeit die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Viele Amerikaner dachten mit großen Erwartungen: Jetzt haben wir die Regierung, die wir schon immer haben wollten. Unser Fahnenträger Al Gore wird es schon richten. Praktisch wurde keine dieser Erwartungen eingelöst. Die Umweltbewegung aber hatte Beißhemmungen, ihre Fahnenträger zu kritisieren. Das Ergebnis: Die amerikanische Umweltbewegung wurde sprachlos, eine breite Demobilisierung setzte ein. Diese überdimensionierten Erwartungen gab es in Deutschland nicht. Ich halte es auch für falsch, wenn sich Nichtregierungsorganisationen zu sehr an eine Regierung binden. Das gilt auch für die Umweltbewegung im Verhältnis zu den Grünen. Umweltbewegung darf niemals Beißhemmungen bei Konflikten haben.

Andererseits hatten die Grünen in der Opposition auch nie Beißhemmungen, Umweltprobleme anzusprechen.

Parlamentarisches und außerparlamentarisches Handeln sind zwei völlig verschiedene Rollen. Eine Initiative, die gesellschaftliches Bewusstsein schaffen will, darf sich nicht in den politischen Kompromissbildungsprozess einbinden lassen, der im Parlamentarismus unerlässlich ist. Das ist heute das Problem mancher Umweltorganisationen, die inzwischen für das Kyoto-Klimaprotokoll werben, obwohl es vorwiegend aus Schlupflöchern besteht.

Wie bewerten Sie die heute existierenden Strukturen der Umweltbewegung?

Viele Umweltorganisationen haben sich in den letzten zehn Jahren professionalisiert. Das kann man verstehen, aber so etwas hat immer zwei Seiten. Ihre Vertreter haben eine hohe Fachkenntnis, sie artikulieren diese auf Expertenanhörungen, erarbeiten Konzepte, werden in Kompromissprozesse eingebunden. Zwar arbeiten diese Fachleute noch ehrenamtlich. Aber dank ihrer Kenntnisse etablieren sie sich und ihre Vereine. Damit setzt der Integrationsmechanismus ein. Der Verein bekommt öffentliche Gelder. Das erleichtert natürlich die Arbeit unseres Fachmanns und verschafft mehr organisatorischen Spielraum. Unversehens werden Rücksichtnahmen auf die Geldgeber eingebaut. Und der Verein spezialisiert sich immer mehr, verliert den Zusammenhang. Ich will solche Prozesse gar nicht verdammen. Ich will nur darstellen, warum solche Integrationsprozesse und die zunehmende Professionalisierung zwei Seiten haben. Was wäre die Schlussfolgerung?

Die Umweltbewegung muss immer peinlichst darauf achten, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Ein wesentliches Mittel von politischer Meinungsbildung ist Lobbyarbeit. Muss dort die Umweltbewegung aktiver werden?

Es ist ein Irrtum, die Lobbyarbeit der Umweltbewegung an der eines Interessenverbandes messen zu wollen. Interessenverbände – etwa die der Industrie – sind hoch professionalisiert, haben viel Geld und wenig tragfähige Ideen für die Gesellschaft insgesamt. Diese Leute vertreten gegenüber der Politik bestimmte Einzelinteressen. Umweltorganisationen aber sind keine Interessenverbände in diesem Sinne, sondern von vornherein am Gemeinwohl orientiert. Würde es nur danach gehen, wie viel Personal und Finanzkraft notwendig ist, um irgendwo Einfluss zu nehmen, hätten Umweltorganisationen nirgendwo eine echte Veränderung bewirkt. Da sind die anderen haushoch überlegen. Nein, ich halte nichts von diesen Ratschlägen, die Umweltorganisationen zu mehr konventionellem Lobbyismus zu ermuntern. Wer sich diese Art von Waffengleichheit mit einem Industrieverband wünscht, darf sich nicht wundern, wenn er letztlich auch wie ein solcher von den Menschen gesehen wird.

Welches sind die Themen der Zukunft, denen sich die Umweltbewegung zuwenden muss?

Nach meiner Überzeugung muss die Umweltbewegung in viel stärkerem Maße eine „Ressourcenbewegung“ werden. Die Themen der Zukunft sind Erneuerbare Energie, Wasser, Boden und Luft – also Schonung und Erhaltung der Ressourcen. Daraus folgt zwingend eine andere Wirtschaftspolitik. Wirtschaft ist ohne Ressourcenverbrauch gar nicht denkbar. Alle Umweltprobleme, die wir haben, hängen mit dem falschen Umgang oder der falschen Wahl von Ressourcen zusammen. Also ist die Ressourcenwirtschaft der Kern des gesamten Problems.

 

95 Prozent der Weltkarte sind – was die Solarbewegung anbelangt – weiße Flecken. Muss Umweltbewegung globaler werden?

Die Umweltbewegung hat von vornherein eine globale Komponente. Nehmen Sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das von verschiedenen Vereinigungen für Erneuerbare Energien angestoßen und von der rot-grünen Bundestagsmehrheit auf den Weg gebracht wurde. Plötzlich passiert etwas in Deutschland – und andere Länder beginnen sich zu fragen: Warum geschieht auf einmal bei den Deutschen etwas, bei uns aber nicht? Der Impuls aus der Umweltbewegung war der Stein, den die Regierungsfraktionen ins Wasser geworfen haben. Jetzt schlägt er Wellen. Weltweite Wellen.

Mein Eindruck ist allerdings, dass die Umweltbewegung ihren Beitrag zur Globalisierung zuletzt missverstanden hat. Es ist Unsinn, auf allen internationalen Umweltforen präsent sein zu wollen. Erstens würde das schnell sämtliche Finanzmittel auffressen. Zweitens würde die Bewegung sehr schnell Bestandteil der internationalen Umweltdiplomatie werden. Von der aber kann man nicht mehr erwarten, als bei den Weltklimakonferenzen herausgekommen ist. Vertreter der Umweltbewegung haben unsinnige Kompromisse wie den Handel mit CO2-Emissionen mitgetragen, weil sie das gerade noch für akzeptabel hielten. Sie müssen sich diesen Treppenwitz mal auf der Zunge zergehen lassen: Umweltschützer fordern jetzt, das dieses Konzept – das nur entstanden ist, um die Amerikaner zum Klimaschutz zu animieren – verabschiedet wird, obwohl die Amerikaner schon ausgestiegen sind.

Am Anfang des dritten Jahrtausends wird von allen gefordert, „fit für die Zukunft“ zu werden. Was muss die Umweltbewegung dafür tun?

Wer Zukunftsgestaltung ohne Ökologie machen will, ist bestenfalls ein Traumtänzer. Insofern bedeutet Umweltbewegung schon an sich „fit machen für die Zukunft“.

Die Umweltbewegung muss wieder politischer denken. Sie muss die Strukturfragen aufgreifen, die mit dem jetzigen zerstörerischen Ressourcensystem verbunden sind. Es gibt heute viel zu wenig Kritik an der Liberalisierung der Energieversorgung. Es gibt viel zu wenig Kritik an der Konzentration der Ressourcenwirtschaft, die diametral dem Ziel der Organisierung ökologischer Kreisläufe entgegensteht. Solche politische Dimension ist der Umweltbewegung zu sehr verloren gegangen.

 

Wie lässt sich das wiederbeleben?

Durch Widerspruch! Wie viele Leute widersprechen denn heute noch? Da stellt sich zum Beispiel die Kernkraftlobby nach Unterzeichnung des Atomkonsenses hin und sagt: Erneuerbare Energien können immer nur ergänzende Bedeutung haben, aber nie die atomare und fossile Energie ersetzen. Nur wenige haben dem widersprochen. Ohne Widerspruch nehmen das die Leute hin – sie glauben es.

 

Im Energiebereich liefert die Umweltbewegung immer wieder wissenschaftliche Arbeiten, die das Gegenteil belegen. Warum nicht in anderen Bereichen – Trinkwasser, Klimaschutz, Ressourcenverbrauch?

Weil die Problemlage nicht ausreichend bewusst ist. Ich bin aber optimistisch, dass sich das ändern wird. Am Anfang jeder Bewegung steht, dass ein Groschen fällt. Daraus können Massenprozesse werden.

Woher der Optimismus?

Die richtige Idee lässt sich auf Dauer nicht vertuschen. Die Mindestvoraussetzung ist allerdings, dass diese Idee unüberhörbar artikuliert wird. Daran müssen wir arbeiten. Es gibt einen schönen Satz: An sich bin ich kein Pessimist, außer, wenn ich manche ignoranten Optimisten reden höre.

Aus: DER RABE RALF – Die Berliner Umweltzeitung, Februar/März 02

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